Gerade auch der hohe Anteil an AfD-Stimmen bei Jungwählern in Sachsen und Thüringen bereitet vielen Sorge. Ein Berliner Experte für ostdeutsche Identitäten liefert Erklärungen – äußert aber auch Hoffnung.
Junge Menschen in Ostdeutschland lassen sich mit Erzählungen über den Fortschritt in der Region nach Einschätzung des Soziologen Daniel Kubiak durchaus noch erreichen. “Bei den Jungen habe ich Hoffnung”, sagte Kubiak mit Blick auf das gute Abschneiden der AfD bei Jungwählern in Sachsen und Thüringen im Interview der “taz” (Mittwoch). Junge kriege man “mit den vielen berechtigten progressiven Erzählungen über den Osten”. Kubiak forscht am Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung der Humboldt-Universität zu ostdeutschen Identitäten, Rechtsextremismus und Migration in Ostdeutschland.
Junge Leute seien eher bereit, nicht die etablierten Parteien zu wählen, erklärte der Soziologe weiter. Sie wechselten auch häufiger zwischen den Parteien. Bei den vergangenen Bundestagswahlen hätten junge Wähler vor allem die Grünen und die FDP gewählt. “Jetzt steht die AfD für das Anti-Establishment.” Das liege unter anderem daran, dass jüngere Menschen stärker dafür empfänglich seien, welche Themen gesellschaftlich und medial verhandelt würden. “Das war bei dieser Wahl ganz klar das Thema Migration.”
Hinzu komme, so Kubiak, “dass wir eine tradierte Identifizierung der jungen Generation mit dem eigenen Ostdeutschsein beobachten”. Diese Identifizierung entstehe auch dadurch, wie über den Osten gesprochen werde: “Der Osten gilt häufig als der abgehängte Teil Deutschlands.” Es würden Witze über die Veränderungen dort gemacht. “Es gibt eine Opfererzählung aus und über Ostdeutschland, die gar nicht der Realität entspricht.” Den meisten Leuten im Osten gehe es heute materiell viel besser als vor 30 Jahren. “Trotzdem gibt es Abwertungsnarrative auch bei jungen Ostdeutschen, die die Umbrüche der 90er Jahre nicht selbst erlebt haben – auch, weil es eine Partei gibt, die dieses Narrativ für sich missbraucht: die AfD.”
Dieser Ostaspekt sei aber “immer nur ein Puzzleteil für die Erklärung von Wahlverhalten”, sagte der Forscher. “Wir sehen ja in letzter Zeit ein Erstarken rechter Jugendkultur, vor allem im Internet, etwa bei Tiktok.” Man müsse auch beachten, dass die Gruppe der 18- bis 24-Jährigen im Osten sehr klein sei. Sie seien nicht die, die den großen Erfolg der AfD erklärten. “Dafür ist eher die Gruppe der 40- bis 60-Jährigen verantwortlich, und die wissen genau, wen sie wählen, und sind teilweise selbst aus der rechten Jugendkultur der 1990er – den Baseballschlägerjahren – entsprungen.”