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Soziologe: Deutsche Gesellschaft nicht gespalten

Trotz einer Polarisierung und Aufheizung der Stimmung in öffentlichen Diskursen ist die Gesellschaft in Deutschland nach Worten des Soziologen Steffen Mau nicht gespalten. Sie zerfalle bisher nicht in klar abgegrenzte Lager, sagte Mau im Interview der “Welt” (Dienstag). “Die allermeisten Leute haben Sowohl-als-auch-Positionen.” Die extremen Ränder seien weniger stark besetzt. Im öffentlichen Diskurs sei das anders.

“Da haben wir eine Überrepräsentation von relativ starken, pointierten und auch extremen Meinungen. Das hat auch etwas mit der Aufmerksamkeitsökonomie und den sozialen Medien zu tun. Dadurch entsteht häufig der Eindruck, wir hätten eine Polarisierung, aber das ist eher eine gefühlte Polarisierung”, so der Professor an der Berliner Humboldt-Universität.

Allerdings könnte die Bereitschaft zum Konsens weniger werden, sagte Mau. Wenn nämlich der “Verteilungskuchen” kleiner werde, könnten starke Verteilungskämpfe entstehen. “Dabei kann es auch zu einer Umlagerung bestimmter Konflikte kommen, zum Beispiel zwischen denen, die arbeiten, oder zwischen Empfängern von öffentlichen Transfers und Migranten.” Wer nicht wisse, wie er oder sie bis zum Ende des Monats auskommen solle, entwickele möglicherweise “Formen der Ablehnung und des Ressentiments, aber auch des politischen Defätismus”.

Der Soziologe warnte vor Nostalgie, denn es habe auch schon zu früheren Zeiten zahlreiche Konflikte gegeben. Es sei nicht alles besser und harmonischer gewesen: “Die Parteien zum Beispiel waren sich in der Vergangenheit spinnefeind.” Mau nannte zudem die Frage von Rüstung und Atomkraft sowie Konflikte rund um die linksterroristische “Rote Armee Fraktion” (RAF). “Demgegenüber gibt es heute eine entideologisierte und entpolitisierte breite Mitte. Die Stammwählerschaft ist am Schmelzen, die Parteien können sich auf die Loyalitäten ihrer Anhänger nicht mehr verlassen.”