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Sondervermögen: Kippt zur Finanzierung ein kirchlicher Feiertag?

Bundestag und Bundesrat haben eine historische Entscheidung getroffen: Mit dem Sondervermögen werden gigantische Schulden in Kauf genommen. Zu deren Finanzierung könnte ein Feiertag wegfallen.

Das beschlossene Sondervermögen umfasst eine gigantische Summe, die mit Schulden finanziert wird
Das beschlossene Sondervermögen umfasst eine gigantische Summe, die mit Schulden finanziert wirdimago / Christian Ohde

Knapp eine Billion Euro. Um so viel Geld geht es, wenn jetzt darüber gesprochen wird, was Deutschland an Krediten aufnehmen muss, um in den nächsten zehn bis zwölf Jahren die wichtigsten Heraus­forderungen zu meistern. Tausend Milliarden, eine eins mit zwölf Nullen­. Damit könnte zum Beispiel die Evangelische Kirche von Westfalen 2300 Jahre lang ihren Haushalt von etwa 433 Millionen Euro (2025) bezahlen. Also von Christi Geburt an bis jetzt – und 300 Jahre weiter.

500 Milliarden Euro davon sind für Infrastruktur und Klimaschutz vorgesehen. Das ist das eigentliche „Sondervermögen“; es liegt außerhalb des regulären Bundeshaushalts und wird nicht auf die grundgesetzlich verankerte „Schuldenbremse“ angerechnet. Um dies zu erlauben, musste der Bundestag das Grundgesetz ändern (Artikel 143h). 300 Milliarden Euro davon sind für Bundesprojekte vorgesehen (Verkehr, Energie, Digitalisierung, Bildung), 100 Milliarden für den Klima- und Transformationsfonds, 100 Milliarden für Länder und Kommunen.

Grundgesetz-Änderung ermöglicht hohe Kredite

Zusätzlich kommen Ausgaben für Verteidigung und Sicherheit hinzu, etwa 43 Milliarden Euro pro Jahr. Schulden in dieser Höhe sind auch bisher schon gesetzlich erlaubt, damit wird die Schuldenbremse formal eingehalten. Bei einer Laufzeit von zehn Jahren könnten diese Verteidigungsausgaben weitere­ 430 Milliarden Euro betragen, was die Gesamtschuldensumme in Richtung einer Billion Euro bringen würde.

Eine Verschuldung in dieser Größenordnung ist ein Tabubruch in Deutschland. Jahrzehntelang galt als Glaubensbekenntnis aller Regierungen: Bloß nicht auf Pump leben. Einflussreiche Politikerinnen und Politiker wie Wolfgang Schäuble, Peer Steinbrück und Angela Merkel standen bereit, um wie der Cherub mit dem Flammenschwert den Zugang ins vermeintliche Paradies der ungezügelten Kreditaufnahme zu verweigern. Warum jetzt also die 180-Grad-Kehrtwende?

USA: Der starke Partner steht nicht mehr an Deutschlands Seite

Man darf das, wie mittlerweile so vieles, dem unberechenbaren Treiben des neuen US-Präsidenten zuschreiben. Schutzzölle, politische­ Erpressungsversuche, angedrohter Rückzug aus der Nato – mit einem Mal realisieren Europa und Deutschland, dass sie ohne Schutz und Partnerschaft der USA wackelig und schwach dastehen. Wirtschaft, Technologie, Entwicklung; dazu die Bedrohung durch Putin: Deutschland merkt, dass es wie in einem Dornröschenschlaf vor sich hin schlummerte. Eingelullt in der vermeintlichen Sicherheit: Der große Bruder jenseits des Atlantiks wird’s schon richten für uns.

Diese Sicherheiten hat Donald Trump weggepustet wie der Nachbar die Herbstblätter mit dem Laubbläser. Also muss Deutschland jetzt versuchen, jahrzehntelange Versäumnisse nachzubessern. Aus eigener Kraft. Und das auch noch möglichst schnell. Deshalb ist das viele zusätzliche Geld nötig.
Aber das sind Schulden. Die müssen irgendwie, irgendwo, irgend­wann zurückgezahlt werden. Wie? Da rauchen jetzt die Köpfe bei Politik und Wirtschaftsfachleuten.

Verschuldung: Zur Gegenfinanzierung könnte ein kirchlicher Feiertag wegfallen

Im Gespräch ist dabei auch, mindestens­ einen Feiertag zu streichen. Ökonomen, darunter der Präsident des Münchner ifo Instituts, Clemens Fuest, sowie die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer, hatten in den vergangenen Tagen­ dafür plädiert. Durch einen Tag Mehrarbeit kämen acht Milliarden Euro Steuereinnahmen zusammen, so schätzen sie. Außerdem würde die Mehrarbeit der Bevölkerung vermitteln, wie wichtig es wäre, dass sich die gesamte Gesellschaft anstrengen müsse, um die neuen Herausforderungen zu meistern.

Welchen Feiertag könnte es treffen? Da ist man schnell bei den kirchlichen Festtagen. Die Kirchen­bindung der Gesellschaft hat nachgelassen. Und selbst kirchentreue Menschen stehen manchen Feiertagen ratlos gegenüber: Karfreitag? Ostermontag? Auch der Pfingstmontag könnte bei den Streichüberlegungen vorn auf der Liste stehen.

Investitionen in die Zukunft: Auch künftige Generationen können beteiligt werden

Lasst das bloß sein, sagt Rudolf Hickel. Der Bremer Wirtschafts­wissenschaftler hat sich gegen eine Feiertagsstreichung ausgesprochen. Zum einen sei es verkappter Sozialabbau, die Leute mehr arbeiten zu lassen, so Hickel. Zum anderen sei es fair, Investitionen, die die Zukunft betreffen, nicht nur den heute arbeitenden Menschen aufzubürden, sondern auch künftige Generationen zu beteiligen. Und dies geschähe durch die Aufnahme von Krediten.

Schon einmal sollte eine Mehrbelastung durch die Streichung eines­ kirchlichen Feiertags finanziert werden. Das war 1995, als zur Finanzierung der Pflegeversicherung der Buß- und Bettag als gesetzlicher Feiertag abgeschafft wurde (Ausnahme: Sachsen). Die Erfahrungen zeigen: Kurzfristig wurde Geld in die Kassen gespült. Der Effekt verpuffte aber. Die Beiträge mussten trotzdem erhöht werden.

Auch Dänemark ist jüngst diesen­ Weg gegangen. Seit 2024 entfällt dort der „Große Gebetstag“, um zusätzliche Nato-Ausgaben zu finanzieren­. Es ist zu früh, um zu urteilen, wie nachhaltig dieser Beschluss war.  Fakt ist: Er wurde gegen den Widerstand von Kirche und Gewerkschaften gefällt und hat zu erheblichen Spannungen in der Gesellschaft geführt.
Und in Deutschland? Früher marschierten die Menschen hier zu Ostern für den Frieden. Ob sie jetzt bereit sind, einen dieser Feiertage­ abzuschaffen, um Waffen zu finanzieren?