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Skandal um Sportwetten erschüttert Brasilien

Anbieter von Sportwetten setzen Milliarden in Brasilien um. Auch Sozialhilfeempfänger sind vom Wettfieber erfasst. Nun will die Regierung eingreifen. Das Problem habe sie zu lange verdrängt, sagen Kritiker.

In Brasilien greift ein Fieber um sich: digitale Sportwetten. Man setzt dabei nicht nur auf Sieg, Unentschieden oder Niederlage eines Teams, sondern auch darauf, wer eine Gelbe Karte bekommt oder einen Elfmeter verwandelt. Mit Real-Time-Überweisungen per Handy fließen Wetteinsatz und eventuelle Gewinne blitzschnell hin und her. Nachdem aber publik wurde, dass auch Sozialhilfeempfänger so ihre Transferzahlungen verzocken, will die Regierung nun einschreiten.

Digitale Sportwetten sind in Brasilien ein gigantischer Markt. Umgerechnet mehr als 3,5 Milliarden Euro an Wetteinsätzen identifizierte die Zentralbank alleine im August. Dazu kommen noch Einsätze, die direkt über Kredit- oder Debitkarten oder über Finanzportale abgewickelt wurden, auf die die Zentralbank keinen Zugriff hat. Wieviel Geld also tatsächlich mit den digitalen Sportwetten umgesetzt wird, ist unbekannt.

Anbieter sind derweil omnipräsent. Sie sponsern Fußballmannschaften und die Übertragung von Sportevents im Internet, und bekannte Persönlichkeiten wie Fußballer oder Influencer machen Werbung dafür. Gleichzeitig berichten Medien über zahllose Fälle, in denen Familien ihr Hab und Gut verwetten.

Längst ist das Wettfieber in den ärmsten Bevölkerungsschichten angekommen. Laut Zentralbank gaben alleine im August rund 5 Millionen Empfänger des staatlichen Sozialprogramms “Bolsa Familia” (Familienstipendium) umgerechnet rund eine halbe Milliarde Euro für Onlinewetten aus. Das sind 20 Prozent der gesamten gezahlten Sozialleistungen in jenem Monat. Jeder vierte Sozialhilfeempfänger zockt demnach online.

Das vom linken Präsidenten Luiz Inacio Lula da Silva zu Beginn seiner ersten Amtszeit (2003 bis 2006) eingeführte Programm gilt als das wichtigste zur Bekämpfung von Armut in Brasilien. Lula hat die Sozialhilfe zu Beginn seiner dritten Amtszeit 2023 noch einmal deutlich angehoben. Dass ein großer Teil der Beträge offenbar statt für Lebensmittel und Schulbildung für Sportwetten eingesetzt wird, rief Kritiker auf den Plan. Die Regierung habe längst die Kontrolle über das Sozialprogramm verloren, mahnen sie.

In der vergangenen Woche kündigte sie nun Maßnahmen an, um Empfänger von Sozialhilfe von Sportwetten auszuschließen. Anhand der Sozialversicherungsnummer sollten Bezieher und deren Verwandte auf einen Index kommen und ihre Geldkarten für die Wetten gesperrt werden. Doch nachdem ihr daraufhin Diskriminierung vorgeworfen wurde, ruderte die Regierung zurück. Nun sollen kommende Woche erst einmal rund 2.000 Webseiten illegaler Wettanbieter abgeschaltet werden. Zudem soll der Einsatz von Kreditkarten für die Wetten generell untersagt werden. Nur rund 100 Unternehmen, die einen Antrag auf Legalisierung gestellt haben, dürfen weiterhin Wetten anbieten.

Die Sportwetten befinden sich in einem gesetzlichen Graubereich. Eigentlich ist Glücksspiel in Brasilien verboten. Doch 2018 öffnete ein neues Gesetz den Markt für Sportwetten. Diese wurden nicht mehr als Glücksspiel, sondern als Lotterie angesehen und damit legal. Voraussetzung ist, dass die Wettquoten klar definiert sind. Die Regierung will nun bis Januar einen legalen Rahmen für den Betrieb der Anbieter in Brasilien schaffen.

Sie habe das Problem lange verdrängt, sagen Experten. Denn rund um die Wetten gibt es seit Jahren zahlreiche Skandale. So sollen Fußballer in brasilianischen Ligen Spiele im Auftrag einer “Sportwetten-Mafia” manipuliert haben. Auch Schiedsrichter und Funktionäre sollen involviert sein.

In den vergangenen Monaten waren zudem mehrere Personen verhaftet worden, die mit illegalen Sportwetten in Brasilien in Verbindung stehen, darunter auch ein bekannter Sänger. Es besteht der Verdacht, dass die Wetten für Geldwäsche benutzt wurden. Auch hochrangige Politiker sollen belastet sein.

Die Wettanbieter wehren sich gegen ihren schlechten Ruf. So erklärte nun eine Organisation, die die Anbieter vertritt, dass Sozialhilfeempfänger statt der kolportierten 500 Millionen Euro lediglich 35 Millionen Euro verzockt hätten. So habe die Zentralbank in ihrer Analyse nicht die Gewinne berücksichtigt, die die Wettenden eingestrichen hätten. Für jeden eingesetzten Euro schütten die Anbieter demnach umgerechnet 93 Cent an Gewinnen aus. Ob das stimmt, ist aufgrund fehlender Transparenz jedoch nicht zu belegen.