Der Horror vom 7. Oktober ist nicht vergangen: Die Massaker der Hamas und ihre Folgen haben auch Wochen später noch massive Auswirkungen auf Jüdinnen und Juden außerhalb Israels. Ein paar Schlaglichter.
Shai Davidai sagt, er fühle sich seit dem 7. Oktober wie Alice im Wunderland: “Rechts ist links, und oben ist unten. Alles ist verdreht.” So drückte er kürzlich in der “Zeit” seine Gefühlslage aus – nach den Massakern der Hamas-Terroristen in Israel und all dem, was in der Folge in Europa und den USA passierte: Demonstrationen, auf denen antisemitisch gehetzt wird, Hakenkreuze und Davidsterne an Hauswänden, sprunghaft steigender Antisemitismus, konkrete und abstrakte Drohungen gegen Jüdinnen und Juden. Viele von ihnen sind wütend, traurig und haben Angst, weil sie Solidarität vermissen.
Davidai lehrt an der Columbia Business School in New York. Im Internet kursiert ein Video von ihm, wie er in New York nach einer pro-palästinensischen Demonstration außer sich vor Wut fehlenden Schutz für andersdenkende Studentinnen und Studenten anprangert. Und nicht nur dort, sondern auch an anderen Elite-Universitäten in den USA. Er sei Israeli, aber vor allem ein Vater, der sich um seine Tochter sorgen würde, wenn sie an einer dieser Hochschulen studierte. All das lasse ihn, einen 40-Jährigen, zittern.
Dies ist eine von vielen eindrücklichen Beschreibungen davon, was der Terroranschlag vom 7. Oktober in Israel mit Jüdinnen und Juden in der Diaspora, also außerhalb Israels gemacht hat. Und weiterhin macht, mittlerweile fast sieben Wochen nach der Hamas-Attacke – in den USA und in Europa, dort auch in Deutschland. Die Angst sitzt tief, und war es davor schon so, dass jemand die Kippa nicht in der Öffentlichkeit tragen oder Post der jüdischen Gemeinde nur ohne Absender zugestellt bekommen wollte, so drängen solche und andere Vorsichtsmaßnahmen jetzt verstärkt in den Vordergrund.
Mitte November wurde ein Frankfurter Rabbiner verbal antisemitisch angegangen; es kommt vor, dass selbst Personen, die offizielle Ämter in jüdischen Gemeinden in Deutschland bekleiden, sich zwar in Medien äußern, aber auf keinen Fall namentlich erwähnt werden möchten. Mit Bezug zum aktuellen Nahostkrieg erfasste das Bundeskriminalamt bisher rund 3.300 Straftaten bundesweit. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sagte auf der diesjährigen Gedenkveranstaltung für die Opfer der Nazi-Novemberpogrome, dass in Deutschland “etwas aus den Fugen geraten” sei. Zuweilen habe er das Land in den vergangenen Wochen nicht wiedererkannt.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) stellte am Dienstag bei der Deutschen Islamkonferenz klar: “Die furchtbaren Terrorattacken der Hamas kennen kein ‘Aber’. Denn dieser Terror verachtet alles, was wir an Werten haben.” Wegen der Schoah sei Israels Sicherheit deutsche Staatsraison. “Wer Bürger dieses Landes werden will, muss das wissen.” Anfang November hatte Faeser die Betätigung der Hamas und des internationalen Netzwerks “Samidoun – Palestinian Solidarity Network” in Deutschland verboten: Hamas wolle Israel vernichten, Samidoun verbreite israel- und judenfeindliche Propaganda.
Ebenfalls am Dienstag wurden Ermittler in Bayern aktiv: Polizei und Justiz durchsuchten bei einem “Aktionstag gegen Antisemitismus” 17 Wohnungen. Ebenso viele Personen stünden im Verdacht, “in strafbarer Weise Hass und Hetze gegen Jüdinnen und Juden verbreitet, verfassungswidrige Symbole verwendet oder Straftaten gebilligt zu haben”, hieß es. Lob kam von der Konferenz der Europäischen Rabbiner (CER), die zu September ihren Hauptsitz nach München verlegt hatte.