Bundesrat und Bundestag haben im Mai das Selbstbestimmungsgesetz auf den Weg gebracht. Es soll ab dem 1. August in Kraft treten. Queer-Aktivisten begrüßen es, Ärzte und Psychiater lehnen es zum Teil ab. Ist es ein Ende von Diskriminierung?
Vor 30 Jahren wurde männliche Homosexualität in Deutschland entkriminalisiert, seit 2017 dürfen gleichgeschlechtliche Paare heiraten. Für Homosexuelle brachten die vergangenen Jahrzehnte in Deutschland einige positive Veränderung. Auf die hoffen Aktivisten auch im Hinblick auf Transgeschlechtlichkeit. Im August tritt das neue Selbstbestimmungsgesetz in Teilen in Kraft.
Das Gesetz, das das Transsexuellengesetz ablöst, sei eine wichtige Errungenschaft, sagt das Vorstandsmitglied des Lesben- und Schwulenverbands in Deutschland, der Soziologe Jörg Hutter. Das frühere Vorstandsmitglied der Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren, Georg Härpfer, bekundet die Hoffnung, dass “Entschädigungsleistungen gezahlt werden für die Menschen, die darunter gelitten haben”. Das Selbstbestimmungsgesetz sei längst überfällig und “muss auf jeden Fall kommen”.
Hutter geht das neue Gesetz jedoch nicht weit genug. Dass Minderjährige nicht ganz allein über ihr Geschlecht bestimmen können, halte er für falsch. “Jugendliche sind schon, wenn sie ihre Geschlechtlichkeit und ihre sexuelle Orientierung entdecken, selber entscheidungsfähig”, sagt Hutter. Dass Pubertätsblocker bei vorheriger Beratung erlaubt werden sollen, sei richtig.
Anders sieht das die Wiener Psychiaterin Bettina Reiter: Schon im März warnte sie in einem Interview des kirchlichen Instituts für medizinische Anthropologie und Bioethik vor einem “Trans-Trend” bei Jugendlichen. Zahlen aus den USA, Großbritannien, Schweden und Finnland nannte sie “besorgniserregend”. Während sich früher hauptsächlich erwachsene Männer in einem Vorkommen von etwa 1 zu 10.000 nicht mit ihrem biologischen Geschlecht hätten identifizieren können, seien es heute vor allem Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 10 und 25 Jahren, darunter zu 80 Prozent Mädchen und Frauen.
Ursachen für die steigenden Zahlen bei dem als Geschlechtsdysphorie bezeichneten Phänomen lägen im sozialen Umfeld und vor allem in den sozialen Medien, so Reiter. Gerade im Alter zwischen 10 und 20 Jahren setzten sich Menschen mit ihrer Sexualität, der sexuellen Orientierung und ihrer Geschlechtlichkeit auseinander. Mädchen beeinflusse das stärker als Jungen, worin die Psychiaterin eine Erklärung für den besonderen Anstieg bei Frauen sieht.
Dem Selbstbestimmungsgesetz stehe sie ablehnend gegenüber, sagt Reiter In dem Gesetz sieht sie einen Rückschritt für Frauenrechte, wenn Männer ihr Geschlecht einfach änderten und Zugang zu Räumen forderten, die Frauen vorbehalten seien. Es sei wichtig, “dass man nicht einfach per Verwaltungs- oder Sprechakt sein Geschlecht ändern” könne. Dass das schon für Jugendliche ab 14 Jahren möglich sein soll, hält Reiter für gefährlich. Sie verweist dabei auf den Deutschen Ärztetag, der wichtige medizinische Fragen im Selbstbestimmungsgesetz zu wenig berücksichtigt sieht.
Der Ärztetag kritisiert eine “fehlende Differenzierung zwischen subjektivem Zugehörigkeitsgefühl” und dem “faktisch gegebenen körperlich-biologischen Geschlecht”. Auch werde Transgeschlechtlichkeit nicht ausreichend von Intergeschlechtlichkeit abgegrenzt. Bei letzterer verfügen Menschen sowohl über weibliche als auch männliche Geschlechtsmerkmale.
Neben dem Selbstbestimmungsgesetz gibt es auch sprachliche Veränderungen. Menschen gendern, nutzen Sonderzeichen in der Schrift und Pausen in der Aussprache, um damit in ihrem Verständnis inklusiver zu sein. Hinzu kommen neue Selbstbezeichnungen Betroffener. Sprache drücke dabei auch persönliche Empfindungen aus, sagt Hutter: “Auch das Anderssein gehört für uns zur Selbstverständlichkeit dazu.”
Hutter zeigt Verständnis dafür, dass Menschen keine gendersensible Sprache verwenden oder mit den unterschiedlichen Selbstbezeichnungen überfordert sind. Abkürzungen wie LGBTQ seien “ein bisschen verwirrend” für Außenstehende. Er könne sich auch nicht vorstellen, dass diese Abkürzungen über Jahrzehnte Bestand hätten, so Hutter. Das sei “dem Leben der Menschen geschuldet, das sich ständig ändert”. Heutige Abkürzungen und das Gendern seien die aktuelle Form, Vielfalt zu symbolisieren.