Verschmutzung, Trockenheit, Schädlinge – viele Einflüsse setzen dem Wald in Deutschland zu. Seit 40 Jahren veröffentlicht die Bundesregierung jährlich einen Bericht zum Zustand des Waldes. Die Tendenz: Kahlschlag.
Er ist Deutschlands größter und auch dauerhaftester Patient – der Wald ist krank. Nur noch jeder fünfte Baum bundesweit gilt als gesund; besonders Fichten, die ein Viertel der Waldbäume in Deutschland ausmachen, sind betroffen. Gut 43 Prozent der Nadelbäume weisen teilweise massive Kronenverlichtungen auf, das meint den mess- und sichtbaren Blatt- oder Nadelverlust der Bäume. Auch die Absterberate liegt mit über einem Prozent höher als bei fast allen anderen Hauptbaumarten in der Bundesrepublik.
Diese Zahlen stammen aus der jüngsten Waldzustandserhebung für das Jahr 2023. Seit 40 Jahren verantwortet das Bundeslandwirtschaftsministerium den jährlichen Bericht über die Gesundheit und zunehmend die Krankheit der Bäume in den deutschen Wäldern. Dafür erheben die Bundesländer systematisch Stichproben, Forstbeamte gehen in den Wald und schätzen, wie viel Laub oder Nadeln in einer Baumkrone fehlen. Die Daten werden dann am bundeseigenen Thünen-Institut in Braunschweig zusammengetragen und in dem jährlichen Bericht aufgearbeitet.
Ausschlaggebend für die Einführung des Berichts war das öffentlich wahrgenommene Waldsterben zu Beginn der 1980er Jahre. Bilder von abgestorbenen Tannenwäldern im Schwarzwald und in den Alpen lösten große Sorgen über ein baldiges Ende des Grünwuchses in Europa aus. “Waldsterben” wurde zum Synonym für Zukunftsangst- und Kampfbegriff für den Umweltschutz.
Verantwortlich für diese Absterbewelle waren, wie Forscher später herausfanden, starke Dürreperioden Mitte der 70er Jahre sowie ein Frostwinter 1978/79, der den Bäumen zusätzlich schwer zusetzte und ihre Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten und Schädlingsbefall erheblich verminderte. Doch nicht nur vermeintlich natürliche Ursachen setzten dem Wald zu: Die Schwerindustrie mit ihren turmhohen, rauchenden Schloten und nicht zuletzt Autos, die noch keinerlei Abgasnormen entsprachen, pusteten Schadstoffe in die Atmosphäre. Dieser giftige Cocktail prasselte als Saurer Regen auf den Boden zurück und verwandelte sattes Blattgrün in totes Grau und Braun.
Der damalige Bundesforstminister Ignaz Kiechle (CSU) sandte daraufhin seine Experten aus, um den Zustand der sterbenden grünen Lunge zu diagnostizieren. Das Ergebnis wurde am 16. Oktober 1984 in Berichtsform veröffentlicht. Dessen für damalige Verhältnisse verheerendes Urteil bewirkte tatsächlich ein kleines Umdenken. Und ab 1989 musste schließlich in allen Neuwagen in Deutschland verpflichtend ein Katalysator verbaut werden, der giftiges Stickoxid und Kohlenmonoxid in weniger schädliche Abgase umwandelt; den Beschluss dazu hatte der Bundestag im September 1984 gefällt, also sogar kurz vor dem Bericht.
Und nun, 40 Jahre später? Da ist der Wald in einem so schlechten Zustand wie fast noch nie. Zwar griffen die Maßnahmen zur Schadstoffreduzierung in den Folgejahren gut – über den Sauren Regen redet heutzutage praktisch niemand mehr. Doch schwebt nun drohend der Klimawandel über allem, und insbesondere die Dürrejahre 2018 bis 2020 haben bleibende Schäden hinterlassen. Deutlich zeigt das ein Zahlenvergleich: Waren 1984 noch etwa die Hälfte der Buchen gesund, das heißt ohne Kronenverlichtung, sind es 2023 nur noch 15 Prozent. Bei Eichen sank der Anteil der kerngesunden Bäume von 54 auf 17 Prozent.
“Die langfristige Tendenz bleibt: Es geht unserem deutschen Wald nicht gut”, sagt Grünen-Politiker Cem Özdemir, ein Nachfolger Kiechles im Amt des Bundeslandwirtschaftsministers, der auch für die Wälder zuständig ist; das “Forsten” als solches findet sich schon seit 2001 nicht mehr im Ministeriumsnamen aufgeführt. Nichtsdestoweniger sei der Wald weiter eine Priorität des Ministeriums, wie Özdemir betont. Luft- und Grundwasserfilter, Lebensraum für Tiere und Lieferant für den nachhaltigen Baustoff Holz – ein gesunder Wald “ist unser zentraler Verbündeter”, so Özdemir bei der Vorstellung des neuesten Berichts im Mai.
Doch Methode und Aussagekraft des Berichtes werden nicht von allen Seiten gleichermaßen geschätzt. Während Umweltorganisationen die jährliche Erhebung stets prominent platzieren und kommentieren – unterfüttert sie doch deren zentrale Forderungen -, äußern Forscher mitunter Kritik am Verfahren: Die Fokussierung auf die Kronenverlichtung sowie die Abstufung der Schadstufen in jeweils fünf Prozentschritten seien zu beliebig für eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme.
Schon länger setzen Forscher deswegen auch auf die Beobachtung des Waldes von oben mit Infrarot- und Satellitenbildern. Ein neues, online einsehbares Monitoring startete im August das Leipziger Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, das nach eigenen Angaben eine noch genauere Übersicht über den Waldzustand erlauben soll als der Ministeriumsbericht. Auch saisonale Veränderungen sollen sich durch die eingefärbten Satellitenbilder leichter nachvollziehen lassen.
Einen großen Unterschied gibt es im Ergebnis allerdings nicht. Auch die Leipziger Forscher sprechen von erheblichen klimabedingten Waldschäden vor allem in der Mitte und im Osten Deutschlands. Im Harz etwa seien inzwischen 52 Prozent der gesamten Waldfläche und insbesondere 76 Prozent der Nadelbäume schwer geschädigt.