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Seelsorge an der Zapfsäule

An der Tankstelle in Pöhlde im Harz fahren im Minutentakt Autos, Traktoren oder Motorräder vor. An der Zapfsäule lädt ein evangelischer Pastor zum gemeinsamen Kaffeetrinken ein

epd-bild/Hubert Jelinek

Mit einem laut knatternden Quad fährt der 84-jährige Gustav Gropengießer an der Tankstelle im Harzer Dorf Pöhlde vor. An der Zapfsäule erwartet ihn schon der evangelische Pastor Andreas Schmidt: „Darf ich Sie auf Kirchenkosten auf einen Kaffee einladen?“ Der Rentner schaut überrascht, wie so viele an diesem Nachmittag. Eigentlich will er nur schnell tanken und seinen Benzinkanister auffüllen. Nach kurzem Zögern aber nimmt er an und setzt sich auf einen der Gartenstühle in die Nachmittagssonne.

Viele Tankende sind überrascht und erfreut

Unter dem Titel „Auftanken“ lädt Pastor Schmidt etwa alle vier Monate nachmittags zum Kaffeetrinken an der Tankstelle ein. „Dabei reden wir über Gott und die Welt“, sagt der 56-Jährige. In dem rund 2000 Einwohner zählenden Ort ist die Tankstelle mit integrierter Post und Backstube über die Jahre zu einer Art Treffpunkt geworden. Wie fast überall im Harz sinken auch in Pöhlde die Einwohnerzahlen, stehen Häuser leer und Geschäfte müssen schließen.
An der Tankstelle fahren Autos, Traktoren oder Motorräder im Minutentakt vor. Immer wieder springt Pastor Schmidt auf, um vom Automaten neue Tassen Kaffee zu bringen. Beim nächsten Kunden hat er nicht so viel Glück. Thorsten Hug aus dem rund 300 Kilometer entfernten Schleswig-Holstein ist nur auf der Durchreise und hat es eilig. Als der Pastor ihm anbietet, den Kaffee in einem Pappbecher mitzunehmen, nimmt der Autofahrer die Einladung begeistert an. „Danke, einfach genial“, prostet Hug bei der Abfahrt durch das geöffnete Fenster dem Pastor zu.
Die Gartenstühle rund um die aufgestellten Tische füllen sich schnell. Auch ein älteres Ehepaar aus dem thüringischen Eichsfeld ist zur Kaffeerunde dazugekommen. „Eigentlich wollten wir hier nur tanken, weil der Preis so günstig war“, sagt Annemarie Freundlieb. Im Gespräch mit Pastor Schmidt stellen sie und ihr Mann dann überrascht fest, dass sie mit ihm gemeinsame Wurzeln in Schlesien teilen. Geschichten über die Nachkriegsjahre werden ausgetauscht.
Bei der Aktion drehen sich die Unterhaltungen auch häufig um nicht-kirchliche Themen, sagt Schmidt. „Man redet außerhalb der kirchlichen Mauern an einer Tankstelle über andere Dinge.“ Am Kaffeetisch entstünden jedes Mal Tankstellen-Zufallsbekanntschaften: „Man weiß nie, wer kommt, wer bleibt und wer geht.“
Die Idee zu dieser ungewöhnlichen Aktion bekam er, als er mit einer Kollegin überlegte, wie die Kirche sich in der Öffentlichkeit mehr zeigen könnte. Ziel des Projekts sei, dass die Kirche auch einmal anders wahrgenommen werde, sagt der Pastor. „Dass wir nicht nur Kollekten sammeln, sondern auch mal was spendieren, ist für viele überraschend.“

Die Aktion läuft seit zwei Jahren

Genauso erstaunt schaut auch der 18-jährige Max Stange, der gerade von seinem Motorrad steigt. Der Schlosser-Lehrling ist ein ehemaliger Konfirmand des Pastors. „Ich wollte eh einen Kaffee trinken“, sagt er und gesellt sich für eine kurze Weile dazu. Anschließend fährt er mit einem Hupton zum Dank weiter. Währenddessen eilt Schmidt zu einer jungen Familie, die gerade aus dem Auto steigt. Er gibt Termine für die nächsten Kindergottesdienste weiter. Das Kind bekommt ein Eis spendiert. Als die Nachmittagssonne langsam hinter den Hügeln verschwindet, löst sich die Kaffee-Runde auf. Auch der 84-jährige Quad-Fahrer Gropengießer will los. „Kraft tanken“ lautet der Werbe-Slogan der Tankstelle. Der Spruch an der Zapfsäule passe auch ganz gut zum Angebot des Pastors, sagt der Rentner, bevor er seinen Helm aufsetzt.
Seit zwei Jahren läuft die Aktion. Wie viele Gäste jeweils kommen, sei wetterabhängig, sagt Schmidt, während er zum Bezahlen in den Laden geht. Rund 26 Tassen Kaffee hat die Kirche an diesem Nachmittag ausgegeben, darunter auch viele im Pappbecher zum Mitnehmen. Grund genug für Schmidt, neue Ideen für das nächste „Auftanken“ im Frühjahr zu entwickeln: „Beim nächsten Mal können wir diese Becher vielleicht mit einem kleinen Gruß bedrucken.“