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Seelenzustände

Man versucht, sie zu wiegen, auf Röntgenbildern abzubilden oder in Gehirnströmen zu messen. Aber die Seele bleibt ungreifbar – und letztlich wohl unbegreiflich

Sie wiegt 21 Gramm, sitzt entweder in der Kehle oder im Herzen und kann – ähnlich wie die Licht-Teilchen – verschiedene physikalische Zustände annehmen. Manche können sie sehen, andere wie einen Windhauch spüren. Wieder andere sprechen ihr strikt jegliche materielle Daseinsform ab, und nicht wenige behaupten gar, es gäbe sie gar nicht.

Die Seele ist ein Wesen, über das viel gestritten wird. Nicht nur die Theologie und Philosophie, sondern auch die Naturwissenschaften arbeiten sich an ihr ab, wenn auch mit anderen Vorzeichen: Während die Theologen sich um das Heil der Seele sorgen, fragen die Naturwissenschaftler nach ihrer Daseinsform – und ob sie überhaupt existiert. So wog der amerikanische Arzt MacDougall im Jahr 1902 sechs sterbende Patienten vor und nach ihrem Tod. Sein Ergebnis: Im Durchschnitt verloren die Menschen im Moment des Todes 21 Gramm an Gewicht – für MacDougall ein Beweis dafür, dass eine Seele in irgendeiner materiellen Form existiert und dass sie, da unsterblich, den toten Körper verlässt.

Natürlich erntete er heftigen Widerspruch. Die einen warfen ihm Messungenauigkeiten vor, andere hielten schon seinen Ansatz für kompletten Blödsinn: Wie sollte man in der Materie des Körpers ein immaterielles Objekt wie die Seele finden? Das wäre ja so, als würde ein Chirurg den Schädel öffnen, um sich im Gehirn auf die Suche nach Gedanken zu machen. Lächerlich! Oder?

Seit einigen Jahren wirkt dieser Vergleich gar nicht mehr so weit hergeholt. Denn inzwischen können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dem Gehirn tatsächlich beim Denken und Fühlen zuschauen. Das Messen elektrischer Ströme zeigt an, welcher Teil des Gehirns gerade besonders aktiv ist, wenn wir reden, auf Bilder reagieren oder träumen.

Allerdings ist durch diese Messungen bisher nicht klar geworden, ob das, was wir als Gedanken und Gefühle wahrnehmen, nur durch die biochemischen Vorgänge in unserem Körper entsteht – oder ob da etwas ist, was unabhängig von den körperlichen Vorgängen existiert. Etwas, das man, je nach spiritueller Ausrichtung, Bewusstsein, Geist oder eben Seele nennen könnte.

Viele auf dem Gebiet der Hirnforschung Tätige äußern sich da sehr zurückhaltend. Aber die Seele  erhält Unterstützung von unerwarteter Seite: Ausgerechnet die hochabstrakte Quantenphysik zeigt sich der Idee der Seele gegenüber aufgeschlossen. Ihr Argument: In aufwändigen Versuchen konnte man nachweisen, dass bestimmte Teilchen auf bisher unklare Weise miteinander verbunden sind und sogar auf kilometerweite Entfernung Informationen austauschen können. Wenn das möglich ist, so argumentieren einige Experten, dann muss es eine unvergängliche Kraft geben, die aller Materie im Universum gemein ist.

Das wiederum erinnert durchaus an den Begriff der „näfäsch“ aus dem Alten Testament: Atem, Wind, Lebenskraft, menschliche Seele und göttlicher Hauch können damit gemeint sein. Die Seele in diesem Sinn ist vom Menschen nicht zu trennen. Egal, ob man sie messen kann oder nicht.