Die schwedische Erzbischöfin Antje Jackelén sieht die kirchliche Hilfe für Flüchtlinge im Evangelium begründet. Die Erzbischöfin mit Wurzeln in Herdecke hält die Flüchtlingsfrage für eine Bewährungsprobe Europas. Die Fragen stellte Anke von Legat.
• Welche Haltung nimmt die schwedische Kirche zur Flüchtlingsfrage ein?
Weltweit gibt es gegenwärtig 60 Millionen Flüchtlinge. Zu uns nach Schweden, einem der reichsten Länder der Erde, sind im vergangenen Jahr 160 000 Geflüchtete gekommen. Das ist eine Größenordnung im Promillebereich. Die Situation fordert natürlich unsere Systeme heraus, aber eine Krise ist es in erster Linie für die Menschen, die flüchten müssen. Bei ihnen geht es um das Überleben, um ihre Existenz.
Die Mitgliedsstaaten der EU, ein Friedensprojekt im Grundverständnis, müssen darum ringen, ihre innersten Werte – die der Menschenwürde und die der Solidarität mit den Schwachen – nicht in dieser Situation aufzugeben.
Ich denke, in diesem Herbst und Winter ist noch einmal deutlich geworden: Wir können unsere eigene Menschlichkeit nur behalten, wenn die Menschenwürde anderer nicht mit Füßen getreten wird.
• Übt die schwedische Kirche Kritik an der aktuellen Politik der Grenzkontrollen?
Wir wissen, dass die Situation für die politischen Handlungsträger momentan schwierig ist. Aber das Asylrecht zu bewahren, ist unser innerstes Anliegen, auch unser Auftrag als Kirche. Die Bibel ist im Alten wie im Neuen Testament voll von Geschichten über Fremde, denen Schutz zu gewähren ist. Da gibt es keine Zweideutigkeiten. Unter den Kirchen in Schweden herrscht darüber große Einigkeit.
Im Blick auf die neu eingeführten Grenzkontrollen müssen wir fragen: Gibt es eine bessere Variante, auf die anderen Länder in der EU Druck auszuüben, als mit Identitätskontrollen? Diese Kontrollen beschädigen nicht nur eine wichtige Region unseres Landes, sondern müssen in uns in erster Linie die Frage wecken: Was machen diese geschlossenen Grenzen mit den Menschen auf der Flucht? Es wäre ein massiver Angriff auf das Asylrecht, wenn alle Länder Europas diese Haltung nachahmten.
• Wie kommt die Stimme der Kirche zur Geltung in der schwedischen Politik?
Die Aufgabe der Kirchen ist nicht tagespolitisch, sondern leitet sich aus dem biblisch eindeutigen Auftrag ab, den Fremden Raum zu geben. Wir erinnern dabei die Worte „Ich bin fremd gewesen, und ihr habt mich aufgenommen“ (Mt 25,35) und versuchen, sie sowohl in unserer wahrnehmbaren Stimme als aber auch in dem, was wir auf Gemeindeebene tun, zu verlebendigen.
• Arbeiten Sie in der Flüchtlingsfrage mit anderen europäischen Kirchen zusammen?
Im vergangenen Herbst habe ich gemeinsam mit dem Ratsvorsitzenden der EKD, Heinrich Bedford-Strohm, ein Statement geschrieben, in dem wir sichere und legale Zugangswege für Flüchtlinge nach Europa fordern, außerdem eine europäische Einigung über großzügige Flüchtlingskontingente. Die Intensivierung der politischen Auseinandersetzung mit den Fluchtursachen zählt nach unserer Auffassung auch zu den zentralen Aufgaben Europas.
In unseren Ländern brauchen wir ein neues Lernen und Einüben im Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft. Unsere Gesellschaften werden sich verändern und, wenn wir es schaffen, diese Veränderungen aktiv zu gestalten, reicher werden.
• Welche Hilfe bietet die schwedische Kirche ihrerseits für Flüchtlinge, von offizieller Seite und durch Ehrenamtliche?
Wir haben in diesem Herbst unglaublich viel Offenheit und Mitmenschlichkeit in unserer Gesellschaft und besonders auch in unseren Gemeinden erlebt, die auch für die Gemeinden selbst von großer Bedeutung sind. Cirka 3000 Schlafplätze konnten Kirchengemeinden und kirchliche Einrichtungen anbieten, sie arrangieren Sprachcafés und Besuchsdienste in Asylunterkünften, sammeln Spenden und gestalten Freizeitaktivitäten für Kinder und Jugendliche.
Das oberste Gremium unserer Kirche hat gerade 75 Millionen Kronen dafür zur Verfügung gestellt, diese Arbeit zu unterstützen, zu verstetigen und zu professionalisieren. Eine wichtige Komponente dabei ist die psychosoziale Unterstützung der Geflüchteten, die – aus den Erfahrungen unserer internationalen Arbeit – eine unserer Schwerpunktkompetenzen darstellt. Auch die professionelle Begleitung Ehrenamtlicher ist in diesem Bereich entscheidend. Die Kirchengemeinden können Orte sein, an denen Geflüchtete als beitragende Subjekte wahrgenommen werden und sich damit mit ihren Erfahrungen in diesen Zusammenhängen einbringen können.
• Wie groß ist die Angst in Schweden vor einer islamistischen Überfremdung?
In der Gesellschaft gibt es derartige Befürchtungen. Rechtsextreme Gruppierungen nutzen diese auch aus und verstärken sie. Das aber gefährdet den Zusammenhalt in der Gesellschaft.
• Wie reagierte die Kirche darauf?
Als Kirche haben wir den Auftrag, uns deutlich gegen diese Tendenzen zu wenden. Wir sind auch gefragt, als Kirche ein Miteinander mit muslimischen Akteuren zu gestalten. Dies tun unsere Partner in vielen Teilen der Erde und leisten damit einen wichtigen gemeinsamen Beitrag zum gesellschaftlichen Frieden. Von ihnen lernen wir in dieser Hinsicht.
Im Blick darauf, dass wir in unseren Gemeinden Menschen in Not ohne Ansehen von Religion helfen, kann ich sagen, dass wir damit unserem Auftrag, den wir in der Taufe bekommen haben, nachkommen.
• Internet: www.ekd.de/download/150921_gemeinsames_wort_fluechtlingskrise_jakelen_bedford_strohm.pdf.