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Klosteranlage Maulbronn: Das schwäbische Hogwarts

Johannes Kepler, Friedrich Hölderlin oder Hermann Hesse: Sie besuchten das Evangelische Seminar Maulbronn. Dabei ist die Einrichtung keineswegs nur etwas für Genies oder Kinder von Top-Verdienern.

Das ehemalige Zisterzienserkloster im schwäbischen Maulbronn
Das ehemalige Zisterzienserkloster im schwäbischen Maulbronnepd-bild / Gustavo Alabiso

Hogwarts liegt mitten in Württemberg. Das legendäre Internat für Kinder mit magischen Fähigkeiten aus den Harry-Potter-Bänden ist eigentlich in Großbritannien beheimatet. Aber es könnte – rein optisch betrachtet – eben auch im schwäbischen Enzkreis stehen, genauer gesagt in Maulbronn. Die ehemalige Zisterzienserabtei wurde 1147 gegründet. Seit 1993 gehört die Klosteranlage zum Unesco-Weltkulturerbe.

Maulbronn gilt als die am besten erhaltene mittelalterliche Klosteranlage nördlich der Alpen. Hier sind alle Stilrichtungen und Entwicklungsstufen von der Romanik bis zur Spätgotik vertreten. Und mittendrin befindet sich das Evangelische Seminar Maulbronn, ein staatliches Gymnasium mit angeschlossenem Internat in Trägerschaft der Evangelischen Landeskirche in Württemberg.

Luftaufnahme des Ensembles Kloster Maulbronn
Luftaufnahme des Ensembles Kloster MaulbronnEvangelisches Seminar Maulbronn

In Maulbronn wird nicht gehext oder gezaubert

Stattdessen halten die Verantwortlichen grundlegende reformatorische und humanistische Bildungsideale hoch. Und das seit 1556. Damals wurden im Herzogtum Württemberg 13 große Männerklöster in Klosterschulen umgewandelt. Sie sollten der Ausbildung des theologischen Nachwuchses dienen. Mehr als 15.000 Pfarrer gingen daraus im Laufe der Jahrhunderte hervor – aber auch Naturforscher wie Johannes Kepler oder Dichter wie Friedrich Hölderlin und Hermann Hesse.

Der Stiftungszweck des Evangelischen Seminars Maulbronn – so der offizielle Name des Gymnasiums – und der Schwesterschule in Blaubeuren besteht bis heute darin, den theologischen Nachwuchs heranzuziehen. Daran orientiert sich auch der Fächerkanon. Die klassischen „Alten“ Sprachen – also Latein, Griechisch und Hebräisch – können an dem Evangelischen Gymnasium ebenso erlernt werden wie ein Instrument. Den gemeinsamen Chor besuchen fast alle Schülerinnen und Schüler.

Seminar versteht sich als Lebensgemeinschaft

„Wir setzen auf eine umfassende Bildung“, sagt Gerhard Keitel dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der 54-jährige Pädagoge ist Ephorus des Seminars, also Schulrektor und Internatsleiter in einem. Neben der Musik und den Sprachen gehören für ihn dazu auch die Beschäftigung mit Glaube und Religion sowie Gemeinschaftserlebnisse: „Das Seminar versteht sich als Lebensgemeinschaft, die Chancen eröffnet, die eigenen Fähigkeiten zu entdecken, und die zugleich Rückzugsräume bietet.“

Schüler nehmen an einer Sonderführung durch das ehemalige Zisterzienserkloster teil
Schüler nehmen an einer Sonderführung durch das ehemalige Zisterzienserkloster teilepd-bild / Gustavo Alabiso

Zurück in die Gegenwart: Internat und Schule sind top ausgestattet – angefangen vom iPad für jeden Schüler bis hin zu Beamern in jedem einzelnen Klassenraum. Neben Bibliothek und Relax-Ecken gibt es mehrere Musikräume. Allein sieben Klaviere stehen den derzeit 60 Schülerinnen und Schülern zur Verfügung. Mehr als 18 Millionen Euro haben das Land und die Evangelische Landeskirche in Württemberg in den vergangenen Jahren in die Modernisierung der über 800 Jahre alten Gebäude gesteckt.

Trotzdem ist das Interesse überschaubar. Für das neue Schuljahr haben sich auf 25 mögliche Plätze nur 16 Interessenten beworben. Woran liegt’s? „Wir erleben eine Zeit des Internatssterbens“, sagt Ephorus Keitel. Während Internatsaufenthalte in England etwa fast selbstverständlich seien, täten sich Eltern hierzulande eher schwer damit, beobachtet der Pädagoge. „Viele Eltern betrachten ihr Kind als ihr Projekt, das sie nicht in andere Hände geben möchten.“

Harry Potter hätte sich auch in Maulbronn wohlgefühlt

An den Finanzen scheitere keine Bewerbung, versichert er. Zwar koste ein Internatsplatz pro Monat rund 4.000 Euro. Allerdings subventionierten Land und Kirche die Plätze, sodass Eltern am Ende zwischen 250 und 850 Euro pro Monat zahlten. Auch die Möglichkeit eines Schul-Bafögs bestehe.

Zum neuen Schuljahr gebe es zudem erstmals die Möglichkeit, dass Schüler zwar das Gymnasium besuchen, aber nicht ins Internat ziehen, sondern weiterhin zu Hause wohnen. „Wir werden sehen, wie das angenommen wird“, so Keitel. Eine Voraussetzung aber bleibt: Wer in Maulbronn zur Schule gehen möchte, muss Mitglied der evangelischen oder – in Ausnahmefällen – einer anderen Kirche sein. Ob das für Harry Potter gegolten hätte, weiß Keitel nicht. Ansonsten aber ist er sich ganz sicher: „Er hätte sich in Maulbronn mindestens so wohlgefühlt wie in Hogwarts.“