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Schulklassen zeichnen Graphic Novel über jüdisches Leben

In ihrem Comicroman „Was war?“ erzählen zwei 9. Klassen eines Gymnasiums im brandenburgischen Michendorf Geschichten über regionales jüdisches Leben in der NS-Zeit.

Ein Ausschnitt aus dem Titelbild der Graphic Novel „Was war?“
Ein Ausschnitt aus dem Titelbild der Graphic Novel „Was war?“Wolkenberg-Gymnasium Michendorf

Kinder, die Geschichte schreiben – oder besser: Geschichte zeichnen. Schülerinnen und Schüler des Wolkenberg-Gymnasiums im brandenburgischen Michendorf haben im vergangenen Herbst eine Graphic Novel veröffentlicht. Das ist ein gezeichneter Roman. In der Michendorf Graphic Novel handeln sie alle vom selben Thema: Jüdisches Leben in Michendorf. Basierend auf der Recherche eines Leistungskurses haben die Schüler*innen der 9b und 9c Informationen zusammengetragen über jüdische Menschen, die während des NS-Regimes in und um Michendorf lebten. Sie wohnten in Häusern an denen die Gymnasiast*innen tagtäglich vorbeilaufen. Auf dem Bürgersteig davor erinnern Stolpersteine an diese Leben, die von den Nazis ausgelöscht wurden.

„Also ich fand es sehr schwierig, die Emotionen rüberzubringen, die die Personen gefühlt haben. Wenn andere Menschen gestorben sind zum Beispiel oder wenn sie selbst aus ihrem Umfeld gerissen wurden.“ Das sagt Stella; sie ist eine der Schülerinnen aus der 9b und malte gleich die erste Geschichte im Buch über Alfred Scheidemann. In Michendorf geboren und aufgewachsen, kam er nach dem Tod seiner Mutter in ein jüdisches Kinderheim in Berlin. Am 14. Dezember 1942 wurde Alfred Scheidemann von den Nazis mit dem 25. Osttransport von Berlin aus nach Ausschwitz deportiert und ermordet.

Emotionale Momente als Kurzgeschichte

Die Jugendlichen haben sich ganz bewusst emotionale Momente im Leben ihrer Personen herausgesucht und diese als Kurzgeschichten gezeichnet. Die meisten der Geschichten sind fiktiv, sie könnten auch genauso passiert sein. So hat eine dreiköpfige Jungengruppe den Aufbruch eines Kindes festgehalten, das Anfang des Krieges mithilfe eines Kindertransportes nach England flieht und seine Heimat verlassen musste. Es ist ein Strichmännchen, dass mit großen Augen aus dem Zugfenster schaut und dem allein am Bahnhof große Kuller­tränen über das Gesicht laufen.

Die jungen Künstler*innen bekommen auch Feedback, vor allen Dingen von Eltern, Lehrer­innen und Lehrern. Das schildert Julian: „Also wir haben von den Menschen in unserem Alter keine Rückmeldung bekommen. Aber unsere Lehrer und Eltern, die haben uns sehr zugesprochen und fanden, es war eine tolle Aktion.“ Eine „tolle Aktion“ ist es auf jeden Fall, und Johann aus der 9c überlegte schon, wie man das Buch noch bekannter machen könnte: „Alles in allem könnte man das Projekt auch an anderen Schulen oder in anderen Klassen machen“, meint er stolz. Eine Schülerin, die das Projekt zusammen mit anderen im Gemeindezentrum von Michendorf vorstellte, berichtet aber auch von einem Zwischenfall, den sie erinnert: „Bei der Ausstellung unseres Buches hat ein Mann geschrien und gesagt, dass das, so wie wir das ausdrücken, nicht korrekt ist.“

Ein Ausschnitt aus einer Seite des Comicromans.
Ein Ausschnitt aus einer Seite des Comicromans.Wolkenberg-Gymnasium Michendorf

Schülerinnen und Schüler nehmen viel für ihren Alltag mit

Die Jugendlichen versuchen, solche Reaktionen auch einzuordnen. Denn sie wissen, dass das Thema emotional aufgeladen ist. Außerdem ist auch die Herangehensweise der Schülerinnen und Schülern neu: Von Kindern gezeichnete Bilder, die über die NS-Verbrechen im eigenen Ort aufklären. So etwas hat Michendorf bestimmt noch nicht gesehen. Spannend ist, dass einige der Jugendlichen durch diese Arbeit jetzt schon Konsequenzen ziehen für ihren Alltag. Ein Schüler möchte sich mehr auf Demonstrationen gegen Rechtsextremismus engagieren, eine andere Neuntklässlerin erzählt, dass sie seit dem Projekt immer mehr über das NS-Regime und die Judenverfolgung auch außerhalb der Schule lernt und liest. Auch die Empörung über AfD und Antisemitismus ist bei den 14-Jährigen gewachsen, denn sie haben sich nun viel damit beschäftigt, was passieren kann, wenn eine Gesellschaft beginnt, bestimmte Menschen auszugrenzen.

Anne Voss, Religionslehrerin und Initiatorin der Aktion, ist sichtlich stolz auf ihre Klasse. Ganz locker kommt sie mit ihren Schülerinnen und Schülern ins Gespräch und legt Wert darauf, dass in ihrem Klassenraum eine offene, diskussionsfreudige Atmosphäre herrscht. Yara beschreibt die Arbeit an dem Buch so: „Viele aus unseren Klassen sind nach dem Unterricht noch zwei Stunden hiergeblieben, damit wir es rechtzeitig schaffen. Wir saßen hier, haben gearbeitet, Musik angemacht und manchmal auch Tee getrunken.“

Unterstützt von Illustratorin Melanie Garanin

Die Gruppen aus jeweils fünf Personen haben in jede einzelne Geschichte viel Arbeit gesteckt und auch noch zu Hause an den Bildern und Figuren gearbeitet. Unterstützt wurden die Schülerinnen und Schülern dabei von Illustratorin Melanie Garanin, die stilistische Tipps gab und auch persönlich von ihrer eigenen Arbeit an Kinderbüchern erzählte.

Für Anne Voss kam diese Verbindung zufällig, aber im Nachhinein sind sie und ihre Klasse sehr froh, dass sie von einer Künstlerin begleitet wurden. Die Jugendlichen können die speziellen Besonderheiten an ihren Zeichnungen beschreiben und erläutern. Sie betonen dabei, welche Tipps und Anregungen von der Illustratorin kamen. Einige Figuren haben übergroße Köpfe, mal sind es Strichmännchen, mal sind die Figuren extrem realistisch gezeichnet. Von Filzstift-Zeichnungen bis Aquarell und Tusche ist alles dabei. Nach jedem gezeichneten Kapitel folgt ein Text über die Michendorfer Person, von der die Geschichte handelt.

Jugendliche werden sensibilisiert

Einen Teil des Projektes hat die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) finanziert, weitere Kosten wurden vom Landkreis Potsdam-Mittelmark und der Kommunal­gemeinde Michendorf übernommen. Das Geld, das die Klassen in den Druck investiert hatten, konnten sie schon längst wieder rein­holen durch den Verkauf des Buches bei Schulveranstaltungen. Acht Euro kostet eine Ausgabe von „Was war? Jüdisches Leben in und um Michendorf“.

Das Projekt „Was war?“ ist ein gutes Beispiel dafür, wie Jugendliche sensibilisiert werden und mit einem besonders schwierigen Teil Deutscher Geschichte in Berührung kommen können. Es ist ein echtes Hoffnungszeichen zu beobachten, wie viele von den Neuntklässlern durch diese Arbeit zu noch empathischeren und wachen, politisch interessierten Menschen werden.

Mehr Informationen zum Projekt „Was war?“

Projekt und Graphic Novel werden außerdem auf der Festveranstaltung zum Jahr der Christlich-Jüdischen Zusammenarbeit (früher: Woche der Brüderlichkeit) am 11. März, 18 Uhr, im Potsdam Museum, Am Alten Markt 9 in Potsdam vorgestellt. Die Graphic Novel kann vor Ort gekauft werden.