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Schlägertruppen und unbezahlte Löhne: Warum LWK-Fahrer streiken

Seit Wochen streiken erneut Lastwagenfahrer an einer Raststätte an der A5. Manche sind so verzweifelt, dass sie in den Hungerstreik gingen. Was Hoffnung auf das Ende des Elends in der Branche macht.

Seit zehn Wochen harren Lastwagenfahrer aus Zentralasien an der Raststätte der A5 in Gräfenhausen bei Darmstadt aus
Seit zehn Wochen harren Lastwagenfahrer aus Zentralasien an der Raststätte der A5 in Gräfenhausen bei Darmstadt ausepd-bild / Michael Schick

Seit zehn Wochen harren Lastwagenfahrer aus Zentralasien an der Raststätte der A5 in Gräfenhausen bei Darmstadt aus, ihre blauen Lastwagen parken eng nebeneinander. Mit jedem Tag wächst ihre Verzweiflung. Viele Männer weinen, wenn sie mit ihren Familien in Georgien oder Usbekistan telefonieren. Sie sind verzweifelt, weil sie kein Geld nach Hause schicken können. „Die Fahrer wollen einfach nur ihr Geld, sonst nichts“, sagt der niederländische Gewerkschafter Edwin Atema, der von den Kollegen zum Verhandlungsführer ernannt wurde. „Und so etwas passiert mitten in Europa.“

Die Männer sitzen auf dem Parkplatz in Südhessen fest, weil die polnische Spedition Mazur sich weigert, ihre Löhne zu zahlen. Auf dem Rastplatz erzählen die Fahrer, dass ihre Kinder zu Hause hungern müssten und Geld für lebensnotwendige Medikamente fehle. Gespräche im Hintergrund machten Hoffnung, dass die Auftraggeber wenigstens einen Teil übernehmen.

Hoffnung auf das Lieferkettengesetz

Mit ihrem wochenlangen Streik rücken die Fahrer die Arbeitsbedingungen bei Speditionen in den Fokus. „Die große Hoffnung ist, dass ihr Protest entscheidende Veränderungen in der Transportbranche bewirkt“, sagt Anna Weirich von der DGB-Beratungsstelle Faire Mobilität, zuständig für internationalen Straßentransport. „Allerdings bezahlen die Fahrer dafür einen sehr hohen Preis“, fügt die Gewerkschafterin hinzu. „Es ist ein richtig harter Kampf.“ Ihre Not war so groß, dass etwa 40 Männer in den Hungerstreik traten. Auf Rat eines Arztes beendeten sie den Protest nach sieben Tagen, weil ihr Gesundheitszustand zu schlecht war.

„Jetzt geht es vor allem darum, dass die Auftraggeber der Spedition auch Verantwortung übernehmen müssen“, betont Weirich. „Das gilt für Gräfenhausen, aber auch insgesamt für die Transportbranche.“ Das neue Lieferkettengesetz schreibt größeren Unternehmen seit dem 1. Januar vor, dafür Sorge zu tragen, dass die Menschenrechte entlang der Lieferkette eingehalten werden. „Firmen können sich nicht mehr damit rausreden, keine direkten Vertragsbeziehungen zur Spedition zu haben“, stellt Weirich klar.

Mit jedem Tag wächst ihre Verzweiflung der Streikenden an der Autobahn-Raststätte bei Darmstadt
Mit jedem Tag wächst ihre Verzweiflung der Streikenden an der Autobahn-Raststätte bei Darmstadtepd-bild / Michael Schick

Das Bundesamt für Ausfuhrkontrolle (BAFA) ist neu mit der Aufgabe betraut, darüber zu wachen, dass die Unternehmen nicht gegen das Gesetz verstoßen. Gräfenhausen ist der erste große Fall. „Es bleibt zu hoffen, dass die neue Behörde mit dem neuen Gesetz an der Hand etwas bewirkt“, betont Weirich. Denn die Spedition Mazur sei kein Einzelfall. „Das ist das Geschäftsmodell in der Branche“, sagt die Beraterin. „Flächendeckend kommt es überall zu Gesetzesverstößen.“ Auch Fahrer anderer Speditionen würden viel zu niedrig bezahlt und regelmäßig um ihren Lohn geprellt. „Das Problem beobachten wir auf jedem Rastplatz.“

Mit dem Panzerwagen auf den Rastplatz

Bereits im Frühjahr hatten Lastwagenfahrer sechs Wochen lang in Gräfenhausen gestreikt, weil Mazur ihnen Tausende Euro schuldete. Zunächst weigerte sich die Spedition zu zahlen und schickte stattdessen einen Schlägertrupp in einem Panzerwagen. Die Polizei verhinderte, dass er die Lastwagen samt Fracht mitnehmen konnte. Erst als ein Kunde dringend eine Lieferung einforderte und mit hohem Schadenersatz drohte, erhielten die Männer ihr Geld.

Nur drei Monate später stoppten Mitte Juli erneut Fahrer der gleichen Spedition auf dem Rastplatz, nach dem ersten Wochenende standen in Gräfenhausen vorübergehend bis zu 150 der blauen Lastwagen. Mazur zahlte die ersten Fahrer noch, verweigerte danach weitere Gespräche und zeigte die Männer wegen „Erpressung“ an.

Der Protest von „Gräfenhausen eins und zwei“ habe auf die Missstände in der Branche aufmerksam gemacht und betone die Verantwortung der Auftraggeber der Speditionen, sagt Weirich. „Das ist gut. Aber für die Fahrer nur ein schwacher Trost.“