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Schauspieler Devid Striesow über seine Rolle als Musikgenie Bach

Er war schon Martin Luther, “Tatort”-Kommissar und Hape Kerkeling: Devid Striesow ist einer der wandlungsfähigsten Schauspieler hierzulande. Kurz vor Weihnachten gibt er nun Johann Sebastian Bach.

Devid Striesow ist Absolvent der legendären 1999er-Abschlussklasse an der Berliner Ernst-Busch-Schauspielschule, zu der auch Lars Eidinger, Nina Hoss oder Maria Simon gehörten. Mit Letzterer hat der 51-Jährige einen erwachsenen Sohn, Ludwig Simon, der in die Fußstapfen seiner Eltern getreten ist: In “Bach – Ein Weihnachtswunder” stehen Vater und Sohn nun zum zweiten Mal gemeinsam vor der Kamera. In der Erzählung über die Entstehung von Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium, die das Erste am kommenden Mittwoch ab 20.15 ausstrahlt, spielen sie Vater und Sohn Bach. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht Striesow über effektives Abnehmen, jugendliche Getriebenheit und die spirituelle Dimension von Musik.

KNA: Herr Striesow, der “Bach”-Film erzählt nicht die Geschichte eines einzelnen Genies, sondern eines Kollektivs. Gut so?

Devid Striesow: Auf jeden Fall! Es gibt ja nicht viel Material zu ihm, außer ein paar Beschreibungen, Bildern und Skulpturen. Und natürlich seine Musik, klar. Aber kein Mensch weiß, wie das alles entstanden ist, wie da die Zusammenarbeit war. Fakt ist, der Mann hat wahnsinnig viel geschrieben, hat sehr viele Kinder und verschiedene Ämter gehabt. Er hat eine unglaublich starke Frau haben müssen, um das alles unter einen Hut zu bringen. Deshalb finde ich, dass es eine sehr moderne und für die heutige Zeit geeignete Form ist, wie wir von der Entstehung des Weihnachtsoratoriums erzählen.

KNA: Wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet?

Striesow: Ich habe dafür 20 Kilo zugenommen. Diese Äußerlichkeit, die Wuchtigkeit und dieser Körperumfang waren wichtig, um mir den Bach “ranzuschaffen”. Der hat tatsächlich den ganzen Tag Bier getrunken, das ist überliefert. Außerdem habe ich mich im Dirigieren unterrichten lassen. Das waren Anknüpfungspunkte, um diese Figur fassen zu können.

KNA: Ist das zusätzliche Gewicht schon wieder runter?

Striesow: 17 Kilo sind schon weg. Ganz ohne Sport, nur durch Ernährungsumstellung, langsam den Brennwert runterschrauben. Das habe ich früh gelernt: Ich habe 2010 für Tom Tykwers Film “Drei” in sieben Wochen 21 Kilo abgenommen. Ich habe ihn erst neulich wegen eines neuen Projekts getroffen, und als ich ihm von meiner Gewichtsschwankung für “Bach” erzählte, sagte er gleich: “Jaja, das hast du bei mir gelernt.”

KNA: Mit zunehmendem Alter wird das Abnehmen schwieriger …

Striesow: Ja, Sie haben völlig recht. Gerade auch im Familienverbund, ich habe ja mehrere Kinder zu Hause. Man hat deshalb teilweise auch sehr schlechte Laune, muss man ehrlich sagen.

KNA: Sie spielen diverse Instrumente, haben Musik studiert – hätten Sie Bach ohne diesen Hintergrund darstellen können?

Striesow: Man sollte schon einen Zugang haben zu Bach und seiner Musik, emotional in einer Verbindung dazu stehen. Und das tue ich tatsächlich schon sehr lange: Ich beschäftige mich, naja, seit ich vier Jahre alt bin, mit klassischer Musik. Ich war sehr früh schon mit meinen Eltern in Konzerten. Und wir haben zum Beispiel jedes Jahr zu Silvester Beethovens Neunte gehört, Direktübertragung aus dem Gewandhaus, dirigiert von Kurt Mansur – das war sozusagen unsere Kirchenveranstaltung. Ich bin ja ganz atheistisch, fern der Kirche groß geworden.

Auch mit Bach bin ich früh konfrontiert worden, er ist einer meiner absoluten Lieblingskomponisten. Es gibt viele Komponisten, die ich verehre, aber wenn ich Bach höre, bin ich zu Hause – egal, an welchem Ort ich mich gerade befinde. Insofern war es ein unglaubliches Geschenk, ihn jetzt selbst spielen zu dürfen.

KNA: Empfinden Sie angesichts seiner Musik eine spirituelle Dimension?

Striesow: Auf jeden Fall. Das Weihnachtsoratorium etwa: Eine größere Lobhuldigung, Freude und Euphorie in der Musik kann ich mir kaum vorstellen – diese Emotion, dieses positive Grundgefühl, das einen so direkt anspricht.

Ich sehe allerdings die Gefahr, dass diese tolle Musik und die kulturellen Aspekte, die mit der Kirche zusammenhängen, verloren gehen, weil die jüngere Generation einfach nicht mehr dahin geführt wird. Der Raum Kirche als Veranstaltungsort geht verloren – und in dem Moment eben auch die Beschäftigung mit der geistlichen Musik. Daher mein Appell an alle Veranstalter, etwa das Theatergewerbe oder Konzertveranstalter, attraktive Angebote zu machen für die junge Generation – damit die wieder in die Kirchen geht.

KNA: Auch wenn Sie, wie Sie sagen, atheistisch aufgewachsen sind: Sind Sie dennoch gläubig?

Striesow: Ich habe das Gefühl, dass man Glauben nicht mehr lernen kann, wenn man’s als Kind nicht mitbekommen hat. Das halte ich für schwierig bis unmöglich. Wenn es darum geht, wie ich Musik empfinde, kann ich sagen, ja, da spüre ich etwas Übersinnliches, etwas, das alle miteinander verbindet. Ob man jetzt in Südafrika eine Opernsänger-Ausbildung macht oder am Nordpol sitzt, ist eigentlich egal. Musik verbindet Menschen, indem sie etwas in ihnen wortwörtlich zum Klingen bringt. Und vielleicht ist das die spirituelle Komponente an dieser Kunstform – die für mich immer noch die emotionalste Kunstform von allen ist.

KNA: Ihr Sohn Ludwig Simon spielt im Film den Bach-Sohn Carl Philipp Emanuel. Wie schwer war es, sich am Set von der realen Vaterrolle zu lösen?

Striesow: Wir haben eine klare, professionelle Art, miteinander umzugehen. Wir konnten uns für dieses Projekt im Vorfeld der Dreharbeiten gemeinsam aufs Land zurückziehen und mit dem Drehbuch beschäftigen. Da haben wir einander so die emotionalen Höhen und Tiefen, die Einstiege und Möglichkeiten, die die Szenen offenbaren, erzählt, jeweils aus unseren Figuren heraus.

Deshalb konnten wir dann beim Drehen unter dem Druck, den man da ja immer hat, ziemlich schnell auch eine Form finden – waren uns aber hinterher trotzdem manchmal nicht sicher, ob wir die Möglichkeiten voll ausgeschöpft haben. Hat das funktioniert, was wir uns überlegt hatten? War’s zu doll, zu wenig, wie war jener Take? Solche Dinge konnten wir sehr gut miteinander besprechen. Ansonsten sind wir aber klar kollegial miteinander und hängen auch nicht in den Drehpausen wie die Äffchen die ganze Zeit aneinander, sondern gehen da jeder unseren Weg.

KNA: Bach erscheint im Film als Getriebener, der für seine Kunst alles gibt. Sehen Sie Parallelen zu Ihrem eigenen Berufsverständnis?

Striesow: In jungen Jahren ja. Parallelen zu Bach zu ziehen ist schwierig – wegen seiner Genialität. Aber es ist schon so, wenn man als Schauspieler den Beruf beginnt, Zuspruch bekommt und das Ganze Fahrt aufnimmt – dass man dann auch alles erreichen will. Gerade mit dieser körperlichen und mentalen Fitness eines jungen Menschen. Manchmal ist man getrieben davon, alles spielen zu wollen, sozusagen auf allen Parketts dieser Welt zu tanzen, überall dabei zu sein, möglichst ganz vorne. Das hält eigentlich ein Leben lang an. Aber irgendwann hat man vielleicht die Möglichkeit, sich die Projekte auszusuchen – und andere Dinge fangen an, wichtig zu werden, Familie zum Beispiel. Dann ist die Entscheidungsfreudigkeit gefordert.

KNA: Der “Bach”-Film handelt auch vom Gegensatz zwischen Kunst(freiheit) und Obrigkeit. Vielerorts wird über dramatische Kürzungen der Kulturetats gestritten, so manche Bühne fürchtet um ihren Fortbestand. Wie sehen Sie das?

Striesow: An der Kultur wird immer als erstes gespart, und ich finde das fatal – weil es um unser aller Identität geht. Das, was Menschen verbindet, ist nun mal Kultur und Kunst. Und Kunst muss im Übrigen auch nicht immer aus dem Dreck und dem Verzicht kommen. Kunst kann und soll auch aus der Fülle heraus passieren und muss vernünftig bezahlt werden. Da hat auch die Pandemie viel angerichtet – da ist es sehr vielen im Kulturbereich sehr schlecht gegangen. All das lässt einen Rückschluss darauf zu, in welchem Zustand die Gesellschaft ist. Und wenn diese Institutionen kaputt gespart werden, dann ist das nie wieder in dieser Form herzustellen. Das lässt mich tatsächlich ein bisschen hilflos und traurig zurück.