Von Sibylle Sterzik
Warum fand die Reformation einen Zugang zum Thema Toleranz? Luthers Hetzschriften gegen die Bauern, die Verfolgung der Täufer und eine erschütternde Judenschrift zeigen, wie sehr der Kampf um die Wiederentdeckung des Evangeliums von einem gnadenlosen Kampf um die Wahrheit begleitet war. Margot Käßmann im Gespräch mit Sibylle Sterzik über ein schweres Erbe, gewaltfreien Umgang mit Konflikten und Respekt.
Welche Schatten verdunkeln die Reformationsgeschichte?Zunächst: Auf die Schatten zu schauen, ist ein Akt der Freiheit! Die Reformation hat eine bewegende Rückbesinnung auf Jesus Christus und die Bibel mit sich gebracht, die es wertzuschätzen gilt. Aber mit genau dieser Dankbarkeit können wir auch auf die Schatten schauen: Da ist der erschreckende Antijudaismus Martin Luthers, da ist die Verfolgung der Andersdenkenden, obwohl Luther doch sagte, in Fragen des Glaubens und Gewissens sei jedermann frei, da ist die Absage an die Freiheitsbewegungen der Bauern, da ist die innerreformatorische Spaltung zwischen Lutheranern und Reformierten.Seine Kritik an Bauern, Juden und Täufern kostete Menschenleben – wie konnte es bei Luther dazu kommen?Mir fällt es schwer, das durch historische Einordnung zu rechtfertigen, es war und bleibt ein Irrweg. Was die Juden betrifft, spielt sicher Luthers Enttäuschung eine Rolle, dass sie durch seine Reformation nicht den Weg zum Christentum fanden. Das kann erklären, aber nicht rechtfertigen. Die Türken erscheinen ihm als Strafe Gottes, obwohl er wenig über sie wusste. Calvin ist anwesend, als Servet verbrannt wurde, weil er meinte, dessen Ablehnung der Säuglingstaufe und der Trinität würden reformatorische Grundüberzeugungen gefährden. Das alles ist ein schweres Erbe, finde ich.
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