70 Jahre ist es her, dass der Zweite Weltkrieg zu Ende ging, mit dem Deutschland die Welt mit Leid überzog und Schuld und Schande auf sich lud. Das sind gut zwei Generationen. Hört man sich um, scheint für viele in diesem Land das Thema damit erledigt zu sein. Entschuldigung für die harten Worte, aber so liest man es derzeit in Internetforen und sozialen Medien: „Ich schulde der Welt einen Scheiß.“
In dieser Zuspitzung wird das hoffentlich nicht die Meinung der Mehrheit wiedergeben. Das Denken dahinter allerdings dürfte nicht untypisch sein für große Teile der Bevölkerung: Ich persönlich habe nichts mit Krieg und Schuld zu tun.
Natürlich gibt es darunter immer die Gruppe derer, die Deutschlands Rolle als Verursacher des Leids grundsätzlich abstreiten. Oder jene, die sagen: Das war nicht Deutschland; das waren die Nazis.
Aber selbst bei denen, die akzeptieren, dass Deutschland als Staat, selbstbehauptete „Volksgemeinschaft“ und gesellschaftliches Gesamtsystem monströse Verbrechen verübt hat und dass damit diese Gemeinschaft als Ganzes untilgbare Schuld auf sich geladen hat, trifft man auf die Haltung: „Lasst mich mit den Verbrechen meiner Väter und Großväter in Ruhe.“
Man mag das verstehen. Niemand wird gern mit etwas durch und durch Bösem in Verbindung gebracht. Zudem ist es eine natürliche Regung, sich spätestens ab der Pubertät gegenüber den früheren Generationen abzugrenzen.
Und doch ist dieses Empfinden zu kurz gedacht. Es gibt eine Verbindung über die Generationen hinaus, die man nicht leugnen kann.
Zum einen: Wer die Segnungen und Vorteile dieses Landes genießt, den Wohlstand, die Sicherheit, der nimmt damit ganz selbstverständlich in Anspruch, was Väter und Mütter, die Großeltern erarbeitet haben. Kann man sich dann auf der anderen Seite vor den Verpflichtungen drücken? Es wird doch wohl auch niemand sich ernsthaft einreden lassen, dass ihm Geld, Besitz, eine Firma oder auch nur eine Armbanduhr, die ihm der Großvater vererbt hat, nicht zustünde. Wie will man dann davon reden, dass es keine Verantwortungsgemeinschaft zwischen den Generationen gäbe?
Interessant auch die Erkenntnisse zu den sogenannten Kriegsenkeln: Noch zwei Generationen später schlagen sich die Erlebnisse der Kriegsgeneration traumatisch in der Seele von Kindern und Enkelkindern nieder.
Es gibt sie, die Verbindung zwischen den Generationen. Die Nachgeborenen erben nicht nur die Weinberge mit ihren süßen Früchten. Die Bibel hat ein treffendes Wort für diese Schicksalsgemeinschaft unter den Menschen: „Die Väter haben saure Trauben gegessen, aber den Kindern sind die Zähne davon stumpf geworden“ , heißt es in Hesekiel 18.
Es geht nicht darum, dass wir ständig in Sack und Asche gingen. Aber wer zu Deutschland stehen will, wer dankbar oder gar stolz ist, Bürgerin oder Bürger dieses Landes zu sein, der kann auf der anderen Seite nicht sagen: Das alles geht mich nichts mehr an.