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Saubere Sache

Gottesdienst in Zeiten von Corona

In Bad Salzuflen meldet sich der liebe Gott morgen per Handy. Weil die Lippische Landeskirche wegen Corona-Gefahr alle Gottesdienste abgesagt hat, schickt die Evangelisch-Reformierte Gemeinde aus der Stadtkirche Bad Salzuflen einen Ersatz: Sie hält dort eine Andacht im engsten Kreis, die beiden Pfarrerinnen, der Kirchenmusiker. Und Uwe Rottkamp. Der Kirchenälteste nimmt die geistliche Stunde per Smartphone auf und stellt sie auf der Homepage der Kirchengemeinde zum Ansehen bereit (www.stadtkirche.info). „Das ist technisch alles ein bisschen mit der heißen Nadel gestrickt“, erklärt Rottkamp, der im Hauptberuf eine Medienagentur betreibt und auch für diese Zeitung UK tätig ist. „Aber wenn die Menschen schon wegen der Ansteckungsgefahr zuhause bleiben sollen, wollen wir Ihnen wenigstens auf diesem Weg Ermutigung und geistlichen Zuspruch geben.“

So wie in Bad Salzuflen schießen momentan an vielen Orten Initiativen empor. Sonntag ohne Gottesdienst? Trotz Corona muss das nicht sein – wenn man denn die Möglichkeiten der aktuellen Kommunikationstechnik nutzt. Waren derartige Übertragungen („Live Streaming“) bisher eher bei einigen Tüftlerinnen und Bastlern zu finden, lässt die gegenwärtige Lage das Interesse an Tele-Übertragungen sprunghaft steigen.

Bernd Becker, Direktor des Evangelischen Presseverbandes für Westfalen und Lippe und Herausgeber von UK, experimentiert schon seit längerem mit Podcast und Video-Blogs. „So schwer ist das alles gar nicht“, macht Becker Mut. „Die Technik ist überschaubar. Ein Smartphone reicht erst mal. Ein Stativ. Für Ansagen eventuell ein Selfie Stick. Und wer es professioneller machen möchte, kann sich noch ein zusätzliches Mikrofon besorgen.“ Erst vor ein paar Tagen habe sich ein Pfarrer aus dem Rheinland bei ihm erkundigt, wie ein solches Setup aussähe. „Das war schnell erklärt. Der Mann wird morgen schon aus seiner Kirche eine Andacht als Ersatz für den Gottesdienst senden.“

Bundesweit ist die Lage, ob Gottesdienste nun abgesagt werden oder doch stattfinden, momentan sehr uneinheitlich. Die Lippische Landeskirche sagt klipp und klar: Lasst es. Ebenso die Nordkirche. Auch die Kirchen in Sachsen, Niedersachen und Bremen, die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck, deren Gebiet sich überwiegend auf Nord- und Osthessen erstreckt, sowie das Bistum Hildesheim und die Erzbistümer Hamburg und München/Freising sagen ihre Gottesdienste ab und verweisen auf Rundfunk- und Fernsehgottesdienste bzw. im Internet gestreamte Gottesdienste.

Andere Landeskirche tun sich schwerer damit. So haben etwa die Evangelische Kirche im Rheinland und die Evangelische Kirche von Westfalen ihren Gemeinden empfohlen, alle Veranstaltungen abzusagen – aber eben nicht die Gottesdienste. In den Gemeinden vor Ort sorgt das für Unsicherheit. Und auch Streit. Mancher Presbyter, manche Pfarrerin wünschte sich ein mutigeres und entschiedeneres Vorgehen von den Kirchenleitungen. Die aber überlassen die Entscheidung ausdrücklich den Gemeinden. 

Welche Argumente vorgebracht werden, kann man exemplarisch in der Facebookgruppe „Predigtkultur“ lesen, in der sich bundesweit über 4000 Predigerinnen und Prediger austauschen. „Gerade in solchen Zeiten brauchen wir Orte der Ermutigung und Hoffnung“, heißt dort in vielen einander ähnelnden Postings. „Das ist verantwortungslos“, halten andere dagegen. „Gerade in Gottesdiensten treffen sich oft Ältere und Kranke, also Mitglieder Hauptrisikogruppe.“ Andere weisen daraufhin, dass es kein gutes Vorbild sei, wenn in Zeiten, in denen soziale Kontakte möglichst vermieden werden sollen, um das Ansteckungs- und Verbreitungsrisiko zu senken, gerade die Kirche nicht konsequent mitziehe. „Warum beansprucht die Kirche für sich wieder eine Extrawurst?“

Ohnehin wird die Kirche an vielen Orten bereits von der bitteren Wirklichkeit überholt. Längst verbieten Kommunen wie Bielefeld, Hagen, Wuppertal generell alle öffentlichen Veranstaltungen – und damit auch Gottesdienste. In diesen Orten MÜSSEN die Kirchen also nachziehen. Ob da  nicht ein mutiges, proaktives Vorgehen besser wäre als nur zu reagieren und hinterher zu kleckern – auch diese Frage wird in Foren und Sozialen Netzwerken heiß diskutiert.

Nichts wird mehr so sein, wie es vorher war – so mutmaßen derzeit viele Kommentatoren in den Medien. Ob das zutrifft oder eher der momentanen Aufregung geschuldet ist, wird sich zeigen müssen. Im Bereich Gottesdienst und Live Streaming allerdings ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Corona-Krise für nachhaltige Veränderungen sorgen könnte.