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Rheinischer Präses: Mit weniger Menschen und Mitteln gut Kirche sein

Mehr Zeit für das Wesentliche, mehr Gestaltungsfreiheit und mehr ökumenische Zusammenarbeit: Der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Thorsten Latzel, setzt auf Reformen und Aufbrüche, um „auch mit weniger Menschen und Mitteln gut Kirche zu sein“. Dazu brauche es Änderungen im Pfarrdienst und bei den kirchlichen Amtshandlungen, aber auch weniger Gremienarbeit, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Rande der diesjährigen rheinischen Landessynode. Lernen lasse sich von Kirchen in anderen Ländern.

epd: Die rheinische Kirche steht vor einem grundlegenden Umbau. Sie haben kürzlich gesagt, Sie wollten wegkommen von einer flächendeckenden „staatsanalogen Volkskirche“. Wie sieht denn die Kirche der Zukunft aus?

Thorsten Latzel: Darüber diskutieren wir intensiv hier auf der Landessynode. Es gibt auf allen Ebenen ein starkes Bewusstsein dafür, dass wir uns neu aufstellen müssen, um auch mit weniger Menschen und Mitteln gut Kirche zu sein. Das wird nicht in den bisherigen Formen gelingen, weil es uns überfordern und erschöpfen würde, einfach nur weiter Gemeinden zu fusionieren und sonst weitgehend alles beim Alten zu lassen.

Wir lernen von Beispielen in anderen Ländern, wie man kirchliches Leben transformieren kann. Auch bei uns gibt es bereits eine Fülle von Aufbrüchen. Ein Beispiel ist Düsseldorf, wo überlegt wird, aus einem Kirchenkreis mit 17 Gemeinden eine einzige große Gemeinde zu machen. Ziel ist, weniger Zeit in Gremien und mit Verwaltung zu verbringen und mehr Zeit für Kontakt zu den Menschen zu haben.

epd: Was heißt das zum Beispiel für den Pfarrdienst?

Latzel: Pfarrerinnen und Pfarrer sollen nicht mehr einen großen Teil ihrer Arbeit mit Verwaltungsaufgaben oder Gebäudemanagement zubringen müssen, sondern Zeit für Seelsorge und Kontaktarbeit haben. Besonders wichtig sind dabei Amtshandlungen wie Taufe, Konfirmation oder Bestattung. Gemeindepfarrerinnen und -pfarrer brauchen Zeit, um Familien mit Kindern im Tauf- oder Konfirmandinnen-Alter besuchen und einladen zu können. Auch eine nette Begrüßung nach Umzügen ist eine gute Möglichkeit, auf Menschen zuzugehen. Wir wollen uns stärker an unseren Mitgliedern orientieren und Menschen in ihrer Biografie geistlich begleiten. Auf dieser Synode wollen wir konkret beschließen, unter anderem den Zugang zur Taufe und zum Abendmahl zu erleichtern.

epd: Was soll sich bei der Taufe ändern?

Latzel: Künftig sollen auch Eltern ihr Kind taufen lassen können, die nicht Mitglied unserer Kirche sind. Dass der christliche Glaube vermittelt wird, ist wichtig, das können aber auch Freunde, Paten oder die Großmutter versprechen, dafür braucht es nicht notwendig die formale Mitgliedschaft der Eltern. Allgemein wollen wir die religiöse Sozialisation in Familien stärken und Eltern darin unterstützen, aus der Kinderbibel vorzulesen, mit ihren Kindern zu beten und über Grundfragen des Lebens zu sprechen.

epd: Bedeutet weniger Volkskirche auch, dass es künftig weniger und kleinere Gremien gibt?

Latzel: Wir sind eine basisorientierte presbyterial-synodale Kirche, weil wir das für die beste Kirchenverfassung halten: Sie ist partizipativ und Kirche von unten im Sinne eines Gottesvolkes. Presbyterial-synodal lässt sich aber unterschiedlich gestalten. Wir dürfen uns nicht in Ausschüssen und Gremien verstecken und müssen in der Tat schauen, welche Gremien wir in Zukunft brauchen und welche Aufgabe auf welcher Ebene am besten wahrgenommen wird. Presbyterien sollten von Personal-, Bau- und Finanzfragen entlastet werden – und Menschen müssen sich auch zeitlich und thematisch begrenzt einbringen können.

epd: In ihrem Jahresbericht haben Sie angeregt, den Gottesdienst am Sonntagmorgen bei nur sehr wenigen Besuchern durch eine kleinere Andachtsform zu ersetzen. Wird der klassische Gottesdienst am Sonntagmorgen ein Auslaufmodell?

Latzel: Unsere Gottesdienste sind wichtig, weil wir uns hier als Gemeinde versammeln, gemeinsam beten, Abendmahl feiern, Gaben teilen und Gottes Wort hören. Wir sollten solche Gottesdienste besonders fördern, bei denen die Kirche richtig brummt: etwa Schulgottesdienste oder Feiern mit Vereinen. Zugleich brauchen wir den Mut zu verschiedenen gottesdienstlichen Formaten. Wenn weniger als zehn, fünfzehn Leute in einem Gottesdienst sitzen und die Nachfrage dauerhaft niedrig ist, sollte ausgetestet werden, ob andere, kleinere Formate eher angemessen sind. Sie könnten auch von Laien geleitet werden.

Auch andere Rhythmen, Wochentage und Uhrzeiten sind denkbar. In vielen ländlichen Gemeinden ist es heute schon so, dass nicht jeden Sonntag ein Gottesdienst stattfindet. Die klassische Gottesdienstzeit um zehn Uhr stammt noch aus Zeiten mit viel Landwirtschaft, in denen auf die Fütterungszeit Rücksicht genommen wurde. Anstelle eines Pflichtprogramms brauchen wir geistliche Versammlungen und Feiern, zu denen wir selber gerne hingehen.

epd: Was halten Sie von Kasualagenturen, die Menschen einen besseren Zugang zu Taufen, Trauungen oder Trauerfeiern ermöglichen sollen?

Latzel: Sie können ein gutes Instrument für die Menschen sein, die wir über die Gemeinden nicht erreichen oder die nicht wissen, an wen sie sich wenden können. Solche Angebote eignen sich vor allem in Großstädten. Ihr Angebot ist ähnlich niederschwellig wie Kircheneintrittsstellen. Wir müssen uns ja klarmachen, dass wir zum Beispiel bei Bestattungen kein Monopol mehr haben, weil es auch andere Anbieter gibt.

epd: Welche Rolle kann die Ökumene im Blick auf eine kleiner gewordene Kirche der Zukunft spielen?

Latzel: Die Ökumene ist eine große Chance, Zukunftsaufgaben gemeinsam wahrzunehmen. Gute ökumenische Zusammenarbeit gibt es ja schon, etwa in vielen Gemeinden, in der Seelsorge und beim konfessionell-kooperativen Religionsunterricht. Im Bereich der Kirchengemeinden ist die gemeinsame Nutzung von Gebäuden vielerorts sinnvoll. Wenn sich evangelische und katholische Kirche kleiner setzen, sollten Sie das vor Ort in einer gut abgestimmten Weise machen, damit möglichst keine weißen Flecken entstehen.

epd: Wie zukunftsfähig ist heute noch die Verbeamtung von Pfarrern und Kirchenbeamten: Kann man noch für Jahrzehnte Rechtsverpflichtungen eingehen, wenn man die Kirche radikal verändern will?

Latzel: Wir machen eine sehr verlässliche Personalpolitik und haben Rücklagen für die Ruhestandsversorgung der Pfarrerinnen und Pfarrer gebildet. Auch künftig werden wir ein verlässlicher Arbeitgeber sein. Die Frage der Verbeamtung ist zu prüfen. Sie muss aber bundesweit auf der Ebene der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) entschieden werden, damit es kein Ungleichgewicht im System gibt.