Von innen wirkt die Kirche wie ein zu groß geratenes gemütliches Wohnzimmer. Dunkelrote Klinker, Dielen unter den Kirchenbänken, Balken, die den holzverkleideten Dachstuhl tragen und eine warmweiße Beleuchtung lassen das Kirchenschiff behaglich wirken. Doch als vor vier Jahren die Orgel verstummte, war nicht klar, ob die Kirche überhaupt noch eine Zukunft hat. Die Gemeinde selbst hat sie ihr ermöglicht – und sich so das vielleicht größte Weihnachtsgeschenk gemacht.
Es war eine Hiobsbotschaft, die Orgelbauer Mathias Johannmeier vor vier Jahren während der planmäßigen Wartungsarbeiten an der Erlöserkirche in Minden überbringen musste: Ein feiner weißer Flaum hatte sich auf Teilen des Orgelgehäuses festgesetzt – und nicht nur dort: Auch in die Pfeifen waren gesundheitsgefährdende Sporen eingezogen. Um die Gesundheit der Organisten und der Gemeinde nicht zu gefährden, musste das Instrument sofort stillgelegt werden.
Wasser und Feuchtigkeit haben für Schäden gesorgt
Doch damit war es nicht genug. „Ich hatte schon befürchtet, dass da noch mehr ist“, sagt Pfarrer Thomas Pfuhl. Schon lange ahnte er, dass in seiner Kirche nicht alles Gute von oben kommt. Denn die Spuren sind bis heute kaum zu übersehen: Wasserflecken haben viele der dicken Dachbalken gezeichnet. Und wer genau hinsieht, kann die weit herausstehenden Schrauben erkennen, die einige Säulen und Querbalken verbinden.
Die Ursache ist so alt wie die Kirche selbst. „Beim Bau 1963 wurde wohl Holz für den Dachstuhl genommen, das noch nicht trocken genug war“, sagt der Pfarrer. Also trockneten sie in verbautem Zustand – das Holz arbeitete. Fünf Jahre später führte das zu schweren Bauschäden: Der Dachstuhl musste mit Spannankern zusammengezogen werden, um weiter die Stabilität zu gewährleisten.
Trotzdem hatte die Kirche seitdem ein massives Feuchtigkeitsproblem, das letztlich zum gesundheitsgefährdenden Schimmel an der Orgel führte. Auch die Dämmung des Daches war teilweise feucht geworden und hatte sich zu einer flockigen Masse zersetzt. Dazu hatte eine Marderfamilie unter dem Dach über 20 Jahre ebenfalls ganze Arbeit geleistet. Obendrein war auch noch Wasser in den Turm eingedrungen. 277 000 Euro veranschlagten Experten für die Reparatur und für ein neues Dach – zu viel für die Gemeinde.
Doch Pfarrer Thomas Pfuhl wollte das drohende Ende der Kirche nicht hinnehmen. Schließlich hatte er sich schon 2009 bei seinem Vorstellungsgespräch in der Gemeinde ein bisschen in das „warme Wohnzimmerfeeling“ des Baus verliebt. 187 000 Euro konnte die Gemeinde, zu der auch die historische Mindener Innenstadtkirche St. Martini zählt, durch einen Grundstücksverkauf, Mittel aus dem Etat und andere Quellen aufbringen. Für die restlichen 90 000 Euro mussten die Gemeindemitglieder selber ran. Innerhalb eines Jahres – bis Ende 2017 – musste die Summe beschafft werden.
Pfarrer und Presbyterium rührten fleißig die Werbetrommel. So gab es immer wieder Anlassspenden aus der Gemeinde: „Bei runden Geburtstagen oder Goldenen Hochzeiten haben manche auf Geschenke verzichtet und stattdessen Spenden gesammelt“, erzählt der Pfarrer. Auch bei Beerdigungen oder Trauungen sei für die Renovierung gesammelt worden. Klinkenputzen gehörte auch dazu, so beteiligten sich auf Anfrage auch Unternehmen aus der Gemeinde mit dreistelligen Beträgen an der Renovierung.
Der vielleicht wichtigste Baustein war aber das Patenmodell: „Gerade für ältere Menschen mit teilweise niedrigen Renten ist das eine gute Möglichkeit gewesen, sich zu beteiligen“, sagt Thomas Pfuhl: Eine Spende von zehn Euro pro Monat über fünf Jahre. Das ist für viele Gemeindemitglieder gut machbar und spült satte 600 Euro in die Sanierungskasse. Mehr als 50 Gemeindemitglieder legten so das Fundament für die Sanierung des Daches.
Besonders berührt hat den Pfarrer aber die Einzelspende einer älteren Frau, die aus gesundheitlichen Gründen zu ihrer Tochter in eine andere Stadt ziehen musste. Aus dem Verkaufserlös ihres Hauses spendete sie 10 000 Euro. „Wir haben in der Kirche immer so schöne Gottesdienste gefeiert“, hatte sie als Begründung gesagt.
Alte Dachpfannen als „Dankeschön“ für Spender
Mit einem Spendenbarometer im Internet, Wasserstandsmeldungen im Gemeindebrief, Informationen bei Veranstaltungen und schließlich einer Baustellenparty für die Spender sorgten der Pfarrer und sein Team für Transparenz und Informationen – und animierten immer noch weitere Spender. Die alten Dachpfannen wurden mit einem handgeschriebenem „Danke“ versehen zu Geschenken für alle an der Aktion Beteiligten.
Doch zum Stichtag Ende 2017 drohte die Aktion zu scheitern. „Wir hatten nicht genug Geld zusammen – „nur“ 87 000 Euro“, erinnert sich Thomas Pfuhl mit einem Lächeln. Den fehlenden 3000 Euro zum Trotz entschied das Presbyterium, die Sanierung zu beginnen – und bereut den Entschluss nicht.
„100 015 Euro sind bis heute zusammengekommen“, sagt der Pfarrer. Seit Anfang Juli wurden die Gottesdienste im nahen Gemeindezentrum begangen, die Arbeiten gingen gut voran. Gerade noch ist Orgelbauer Mathias Johannmeier damit beschäftigt, die letzten der gereinigten Orgelpfeifen in das Instrument einzubauen.
Viele Spenden ermöglichen Extra-Anschaffungen
Das Dach ist frisch gedeckt, die Erneuerung der Elektrik und der Tonanlage fast abgeschlossen. Eine automatische Zwangsbelüftung wird künftig die Luftfeuchtigkeit in der Kirche im Griff haben – nun reicht das Geld wohl noch für ein paar Extra-Anschaffungen: Ein neuer Teppich vor dem Altar vielleicht, auch neue Polster für die Kirchenbänke wären schön.
Jetzt am vierten Adventssonntag ist es soweit: Die Kirche wird wieder eröffnet. Und auch die Orgel wird wieder jubilieren, schöner als zuvor, weil die Sanierung gleichzeitig zu einer Verbesserung des Instruments geführt hat.
Für die Gemeindemitglieder ein Tag, um stolz zu sein. Mit vielen kleinen Schritten haben sie ihre Kirche gerettet. Dem Weihnachtsfest mit Orgelklang und Wohnzimmerfeeling steht nichts mehr im Wege.