WÜRZBURG/BIELEFELD – In Waldemar Hubers Rucksack klappert es, als er den kleinen veganen Imbiss in der Würzburger Altstadt betritt. Er wartet, bis keine Kunden mehr am Tresen stehen, begrüßt dann Lokal-Inhaberin Gina Schäflein mit einem Lächeln samt Händedruck. „Heute gibt's Lauch-Apfel-Karotten-Eintopf“, sagt sie und zeigt dem 29-Jährigen den Inhalt eines Topfs. Huber sucht in seinem Rucksack das passende Gefäß, Gina Schäflein schöpft die Suppe um. „Wieder etwas Essbares vor der Tonne gerettet“, sagt der junge Mann. Denn in seiner Freizeit ist Waldemar Huber Foodsaver, deutsch: Essens-Retter.
Öffentlich zugängliche Kühlschränke
Menschen, die Essen retten – das ist an sich nichts Neues. Schon vor zehn Jahren kletterten Aktivisten heimlich in die Müllcontainer größerer Supermärkte und fischten völlig intakte Lebensmittel mit abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum heraus. Containern heißt das neudeutsch, ist aber strafbar – weil man „Müll“ stiehlt.
Seit einiger Zeit gibt es vor allem in den Großstädten immer mehr öffentlich zugängliche Kühlschränke, in die jeder noch essbare Lebensmittel hineinlegen oder auch herausnehmen darf. „Fair-Teiler“ heißen diese Geräte, Gesundheitsämter betrachten die Kühlschränke mit Argwohn. Foodsharing nennt sich das Prinzip.
Waldemar Huber und seine Mitstreiter holen bei Händlern und Gastronomen das ab, was nicht mehr verkäuflich ist und im Müll landen würde. „Wir Foodsaver nutzen die Infrastruktur der Foodsharer, zum Beispiel das Internetportal oder auch die 'Fair-Teiler'-Kühlschränke“, sagt Huber. Oft aber tauschen und verteilen er und die rund 30 anderen Foodsaver aus dem Großraum Würzburg die Lebensmittel auch im privaten Umfeld.
Eigenes Konsumverhalten gründlich überdenken
„Wer einmal in die Müllcontainer von Handel und Gastronomie geguckt hat, der kann gar nicht anders, als das eigene Konsumverhalten einmal gründlich zu überdenken“, sagt der 29-Jährige. Rund 100 Leute seien auf foodsharing.de allein im Raum Würzburg registriert, das Gros aber konsumiert nur und stellt selbst nichts zur Verfügung. „Das ist okay für uns – wir sind ja nicht auf kostenlose Lebensmittel aus, sondern dass nichts Essbares weggeworfen wird“, sagt Huber. Viele der Aktiven seien Studentinnen und Studenten, aber auch Berufstätige und Rentner machten mit.
Auch die 20-jährige Hannah Käthler aus Bielefeld gehört zu den „Foodsharern“. Der Funke sprang über, als sie vor gut einem Jahr ihre Heimatstadt verließ, um in Halle an der Saale Musikwissenschaft und Theologie zu studieren. Dort erfuhr sie von der Initiative, für die sie sich seither einsetzt. Dabei geht es ihr vor allem darum, wertvolle Lebensmittel vor der Vernichtung zu retten. Dass ihre Aktivitäten auch ihrem Geldbeutel gut tun, ist dabei ein Nebenaspekt, denn für den eigenen Kochtopf fällt ja auch immer mal was ab.
Die Studentin beteiligt sich am Verteilen von nicht verkauften Lebensmitteln über „Fair-Teiler“-Schränke und an der Organisation von so genannten Schnippel-Partys. Das sind Veranstaltungen, bei denen im großen Stil Lebensmittel verarbeitet werden. Eingeladen dazu ist jedermann.
In der Universitätsstadt Halle sind es vor allem Studentinnen und Studenten, die an diesen „Schnippel-Partys“ teilnehmen, immer wieder aber seien auch Flüchtlinge dabei, sagt Hannah Käther. Dass zu einem solchen Anlass schon mal 100 Menschen zusammenkämen, sei keine Seltenheit. Zuerst wird geschnippelt, dann wird gekocht und dann gemein sam gegessen, gefeiert und getanzt. Die Geselligkeit ist ein wichtiger Aspekt bei den „Schnippel-Partys“. So sind zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Die Lebensmittel sind gerettet und neue Kontaktmöglichkeiten geschaffen.
In der Haller Foodsharing-Gruppe war Hannah Käthler einige Monate auch „Beauftragte“ für die Zusammenarbeit mit einem örtlichen Bäcker, bei dem sie abends mit ihrem Fahrrad nicht verkauftes Brot, Brötchen und andere Backwaren abgeholt hat.
Die Erfahrung von Foodsharern ist, dass sich Händler und Gastwirte unterschiedlich offen gegenüber den Initiativen der Essens-Retter zeigen. Schließlich verschenken diese ja die Lebensmittel an potenzielle Kunden. Für die Würzburger Gastronomin Schäflein ist das aber kein Problem.„Meine Devise lautet: Täglich frisch. Wenn die Suppe abends nicht leer ist, kann ich sie am nächsten Tag nicht mehr an meine Kunden verkaufen.“ Und weil sie noch gutes Essen nicht wegwerfen wolle und auch nicht jeden Tag selbst nur ihre Reste aus dem Geschäft essen wolle, „sind Foodsaver eine prima Sache“.
Knapp elf Millionen Tonnen Essen im Müll
Waldemar Huber zufolge gibt es aber auch viele Händler und Gastronomen, die grundsätzlich jede Kooperation mit Essens-Rettern ablehnen – und einige, die zwar Essen abgeben, das aber nur im Verborgenen. Hannah Käthler hat festgestellt, dass es vielen Händlern zu mühselig ist, die nicht verkauften Lebensmittel zu trennen – einmal für die Tafeln, einmal für Foodsharing.
Laut einer Studie des Bundesverbraucherschutzministeriums von 2012 landen jährlich knapp elf Millionen Tonnen Essen im Müll. Seit Gründung des Internetportals foodsharing.de sind nach eigenen Angaben bundesweit mehr als 5800 Tonnen Lebensmittel gerettet worden.
Und wie erkennt man als Laie, ob Essen noch gut oder schon verdorben ist? „Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist dabei jedenfalls keine Hilfe“, sagt Essens-Retter Huber: „Am besten verlässt man sich auf Augen und Nase. Was schlecht aussieht und schlecht riecht, ist meistens auch schlecht.“ Heikel seien Fleisch und Wurst: „Davon würde ich auch nach langer Foodsaver-Erfahrung eher die Finger lassen.“
Das sieht auch Christiane Manthey von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg so. „Fleisch und Fisch sind problematisch – auch in zubereiteter Form“, sagt die Expertin. Die Kühlkette einzuhalten, sei für Foodsaver und Foodsharer kaum machbar. „Jeder, der Lebensmittel sammelt, teilt und verschenkt, muss sich im Klaren darüber sein, dass er haftbar gemacht werden kann, wenn er Verdorbenes weitergibt.“ Die Idee, Lebensmittel vor der Mülltonne zu bewahren, findet sie gut. Aber die Umsetzung müsse eben auch stimmen: „Das Lebensmittelrecht gilt für jeden kleinen Bäcker und Metzger – also auch für Foodsaver.“
Als Konkurrenz zur Tafel-Bewegung sehen sich Foodsaver und -sharer nicht. „Ziel der Tafeln ist es, Lebensmittel günstig an bedürftige Menschen zu verteilen“, sagt Huber. Die Tafeln nähmen aus diesem Grund in der Regel keine abgelaufenen Lebensmittel an – schon alleine, um ihren Kunden nicht das Gefühl zu geben, für sie sei noch gut genug, was zahlende Kunden nicht mehr haben wollten. „Wir nehmen oft das mit, was die Tafel übrig gelassen hat.“
Der Lauch-Apfel-Karotten-Eintopf aus dem veganen Imbiss von Gina Schäflein ist noch bestens, sagt Huber: „Den stelle ich aber trotzdem nicht in den 'Fair-Teiler'-Kühlschrank.“ Dazu sei die Menge zu klein, und der eigene Hunger und der seiner WG-Mitbewohner an diesem Abend zu groß.
Auch Hannah Käthler hat sich unter ihren drei ehemaligen Mitbewohnern immer wieder Freunde machen können mit mitgebrachtem Essen – vor allem dann, wenn es beim Bäcker mal wieder übrig gebliebene Zuckerschnecken gab.
Internet-Portal der Foodsharer und Foodsaver: https://foodsharing.de/; Studie des Bundeslandwirtschaftsministeriums als pdf-Datei: http://u.epd.de/n8j.