Das Thomas Mann House in Los Angeles versteht sich als “transatlantischer Debattenort”. Was genau heißt das? Die Katholische Nachrichten-Agentur blickt mit einem Regisseur hinter die Kulissen.
Regisseur und Dramaturg Johannes Müller hält sich derzeit als Fellow im Thomas Mann House in Los Angeles auf. Der 46-Jährige will auf die Produktionsformen der Entertainment-Industrie in den USA blicken und dabei untersuchen, wie sich Kunst und Populärkultur zueinander verhalten, um daraus abzuleiten, wie sich dieses Verhältnis in Deutschland denken lässt.
Mann errichtete das Haus in Pacific Palisades während seines kalifornischen Exils im Jahr 1942. Durch die verheerenden Waldbrände vor sechs Monaten wurde es in Mitleidenschaft gezogen. Die Wiedereröffnung fand am 6. Juni anlässlich des 150. Geburtstags von Thomas Mann statt.
Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) berichtet Müller von ersten Eindrücken. Und davon, wie er die aktuellen Proteste in Los Angeles erlebt.
Frage: Herr Müller, zum 150. Geburtstag von Thomas Mann ist der Schriftsteller wieder in aller Munde. Warum ist das so – abgesehen vom “runden” Jubiläum – und was hat er uns heute noch zu sagen?
Antwort: Es lassen sich natürlich ganz viele Themen, die Deutschland – immer noch und immer wieder – bewegen, mit Thomas Mann sozusagen lesen. Seine Wandlung vom Konservativen zum überzeugten Antifaschisten ist da nur ein Beispiel. Er ist Teil deutscher Geschichte, aber auch Betrachter und Kommentator von Außen. Das ist einfach wahnsinnig wertvoll. Und dazu kann er halt einfach schreiben, denke ich jedes Mal, wenn ich eins seiner Bücher aufschlage…ich sollte es eigentlich wissen, aber es begeistert mich jedes Mal neu. Und er ist so witzig! Einige Kapitel des “Zauberberg” gehören zum lustigsten, was die deutsche Literatur bis heute hervorgebracht hat – das Kapitel “Der große Stumpfsinn” kann ich nicht lesen, ohne laut zu lachen.
Frage: Wie arbeitetet es sich nach den verheerenden Bränden in Los Angeles im wieder sanierten Thomas Mann House?
Antwort: Ich war vor den Bränden nicht im Haus, kann es also nicht vergleichen. Aber der Ort hat schon eine sehr eigene Aura und ist wirklich ein Ort, an dem man gut denken kann…ob es die Luft hier ist oder das Licht? Wenn es Ziel war, diese Aura durch die Sanierung wieder herzustellen, dann ist das dem Team vom Haus und Verein hier absolut gelungen: Beim Einzug vor ein paar Tagen waren wir alle schon sehr beeindruckt und natürlich auch gerührt irgendwie.
Und das Arbeiten fällt hier leicht, ich habe nicht das Gefühl, dass hier sowas wie ein Geist des Meisters schwer und muffig lastet…es ist irgendwie deutsch und gleichzeitig sehr kalifornisch fluffig. Auch nach den Feuern!
Frage: Wie erleben Sie die aktuellen Proteste in der Stadt?
Antwort: Los Angeles ist natürlich riesig und wir sind sehr weit entfernt von Downtown, wo das alles stattfindet. Auf den Presse-Fotos wirkt das immer sehr apokalyptisch und diesen Effekt will Trump ja auch erzielen, aber letztlich brennen drei fahrerlose Autos, überspitzt gesagt.
Frage: Ungeachtet dessen heißt es, dass die Einwanderungspolizei ICE sehr hart vorgeht.
Antwort: Es werden Leute von den Straßen geholt oder aus dem Bus gezogen und von ihren Familien getrennt, die hier seit 15 Jahren Pizzas backen. Das kann einfach so nicht sein. Ich merke den Menschen, die ich für meine Recherche hier treffe an, dass es sie stark beschäftigt. Und es ist beeindruckend zu sehen, wie schnell die Leute in Kalifornien reagieren, die ja zu einem großen Teil demokratisch sind.
Ein Bekannter erzählte gestern, das er spontan zu einem Kurs gegangen ist, wo sie einem beibringen, wie man ein Viertel patrouilliert, um dann vor ICE-Deportationen zu warnen und zu lernen, was man sagen darf und wie. Die amerikanische Zivilgesellschaft ist hier schon auch sehr kreativ und schnell, wenn es darum geht aktiv zu werden und zu zeigen, auf wessen Seite man steht.
Frage: Was bekommen Sie von Wissenschaft und Kunst in den USA mit – sind Auswirkungen von Trumps Präsidentschaft spürbar?
Antwort: Ich bin ja hier in der Theaterszene unterwegs, um mehr darüber zu erfahren, wie hier mit dem Gegensatz von sogenannter “Hochkultur” und “Entertainment” umgegangen wird, der ja in Deutschland sehr stark ist. Und im Theaterbereich sind die Auswirkungen der Präsidentschaft ein brennendes Thema: Förderungen wurden radikal gestrichen per abendlicher Email. Und zwar einmal quer durch die gesamte amerikanische Theaterszene. Die Begründung war in etwa, dass das National Endowment for the Arts die Prioritäten bei der Vergabe von Zuschüssen auf die Finanzierung von Projekten konzentrieren will, “die das reiche künstlerische Erbe und die Kreativität der Nation widerspiegeln, wie sie vom Präsidenten als vorrangig eingestuft werden”. Das ist schon ein harter Eingriff und schadet vielen Institutionen, die wahnsinnig wichtige künstlerische, aber auch soziale Arbeit leisten
Frage: Welche Institutionen sind davon besonders betroffen?