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Referentin: “Ohne Weltklimakonferenzen wären wir auf Kurs vier Grad”

Lohnt sich eine Weltklimakonferenz überhaupt noch? „Unbedingt“, sagt Katherine Braun, Referentin für Flucht, Migration und Menschenrecht im Ökumenewerk der Nordkirche, im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Braun nimmt aktuell für „Brot für die Welt“ an der Weltklimakonferenz im brasilianischen Belém teil. Sie konzentriere sich besonders darauf, dass klimabedingte Vertreibung von Menschen in allen relevanten Verhandlungssträngen ernst genommen wird.

epd: Derzeit nehmen Sie an der Weltklimakonferenz in Belém teil. Was ist dort Ihre Aufgabe?

Katherine Braun: Ich begleite die Verhandlungen zu Flucht, Migration und Menschenrechten im Kontext der Klimakrise. Obwohl klimabedingte Vertreibung im Pariser Klimaabkommen erwähnt ist, gibt es in der Umsetzung enorme Lücken: Die Klimakrise wirkt als Konfliktverstärker, zerstört schleichend Lebensgrundlagen oder zwingt ganze Gemeinden in Küsten- und Inselstaaten zur Umsiedlung, weil ihr Land durch den Meeresspiegelanstieg unbewohnbar wird.

Menschen wollen in aller Regel bleiben – und genau darauf richtet sich meine Arbeit: sie so zu unterstützen, dass sie in Würde an ihren Wohnorten leben können oder, wenn das nicht mehr möglich ist, geschützt und mit sozialer Absicherung migrieren können. Gemeinsam mit Brot für die Welt, dem Lutherischen Weltbund und der ACT Alliance bringe ich Perspektiven unserer Partner in die Verhandlungen ein, insbesondere in die Stränge zu Anpassung, Schäden und Verlusten sowie Klimafinanzierung.

epd: Sie gehören einer kirchlichen Delegation aus Deutschland an. Verändert dieser Hintergrund etwas?

Braun: Ja. Kirchen und kirchliche Netzwerke haben in vielen Ländern weiterhin Zugänge zu Verhandlungen, die zivilgesellschaftlichen Gruppen zunehmend erschwert werden. Gleichzeitig sind Kirchen unmittelbar bei den Menschen, die am stärksten von der Klimakrise betroffen sind. Sie leisten humanitäre Hilfe, begleiten Umsiedlungen und unterstützen beim Wiederaufbau. Unsere Partner – von indigenen Gemeinden im Amazonas bis zu Gemeinden in Dürreregionen Afrikas – vertrauen darauf, dass wir ihre Stimmen in die internationale Politik tragen. Das verleiht unserer Arbeit Glaubwürdigkeit und Wirkung.

epd: Durch Fridays for Future haben viele junge Menschen Klimaschutz auf die Straße getragen. Heute ist es vielerorts ruhiger geworden. Wie kann man junge Menschen wieder begeistern?

Braun: Indem wir ihnen echte Mitsprache ermöglichen – nicht nur symbolische Beteiligung – und indem Klimaschutz gerecht gestaltet wird: bezahlbar, sozial und mit Zukunftsperspektiven. Viele der Forderungen von Fridays for Future sind aktueller denn je: ein gut ausgebauter und bezahlbarer ÖPNV, ein schneller Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas, eine faire Verteilung der Kosten und Investitionen in eine klimaneutrale Infrastruktur, die das Leben erleichtert statt erschwert.

Junge Menschen wollen sehen, dass politische Entscheidungen tatsächlich etwas verändern – dass Klimaschutz Arbeitsplätze schafft, Mobilität verbessert, Energie bezahlbar macht und gleichzeitig eine lebenswerte Zukunft ermöglicht. Wenn Klimapolitik Hoffnung schafft statt Überforderung, kommt auch das Engagement zurück.

epd: Laut aktueller UN-Prognose wird das 1,5-Grad-Ziel überschritten. Ist der Gipfel nur noch ein Ringen um das kleinere Übel?

Braun: Auch wenn wir die 1,5 Grad überschreiten, zählt jedes Zehntelgrad. Jedes vermiedene Zehntel bedeutet weniger Vertreibung, weniger Hunger, weniger zerstörte Existenzen. Es geht nicht um Fatalismus, sondern darum, den Schaden zu begrenzen und die Menschen zu schützen, die die Krise nicht verursacht haben.

epd: Weltpolitisch gesehen hat es der Klimaschutz derzeit nicht leicht. Lohnt sich die COP30 überhaupt noch?

Braun: Ja. Trotz aller Kritik sind die COPs das einzige Forum, in dem alle Staaten – von den verletzlichsten Inselstaaten bis zu großen Emittenten – gemeinsam verhandeln. Ohne COPs und ohne das Pariser Abkommen lägen wir heute auf einem Vier-Grad-Pfad. Hier werden die Regeln für Klimafinanzierung, Anpassung, Emissionsminderung und für den Schutz Betroffener festgelegt. Ohne diese Prozesse würden besonders verletzliche Staaten schlicht keine Unterstützung erhalten.

Die Gutachten des internationalen Gerichtshofs machen deutlich: Beim Umgang mit Klimaschäden geht es nicht nur um Moral. Staaten sind rechtlich verpflichtet, zusammenzuarbeiten und Unterstützung für klimabedingte Verluste und Schäden zu leisten – entsprechend dem Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung.

epd: Apropos weltpolitisch: Die USA halten sich fern. Vorteil oder Nachteil?

Braun: Kurzfristig schwächt das die Dynamik, denn große Emittenten sind wichtig. Gleichzeitig sehen wir aber, dass andere Regionen Führungsrollen übernehmen – etwa Lateinamerika, viele afrikanische Staaten und die kleinen Inselstaaten. Brasilien etwa zeigt in diesem Jahr ein bemerkenswert konstruktives Verhandlungsgeschick.

Es zeigt auch, dass wir mehr Finanzierungsquellen brauchen. Das Geld wäre eigentlich da, es fehlt jedoch am politischen Willen. Eine globale Solidaritätsabgabe – etwa auf Privatjets oder Luxusreisen in der ersten Klasse – könnte je nach Ausgestaltung bis zu 43 Milliarden US-Dollar im Jahr einbringen. Solche Instrumente würden die strukturelle Abhängigkeit von einzelnen großen Gebern verringern und die Verantwortung gerechter verteilen – gerade dort, wo klimaschädlicher Lebensstil am ausgeprägtesten ist.

epd: Wofür setzen Sie sich am meisten ein?

Braun: Ich konzentriere mich besonders darauf, dass klimabedingte Vertreibung endlich als Querschnittsthema in allen relevanten Verhandlungssträngen ernst genommen wird. Die Bedingungen, unter denen Menschen fliehen müssen, unterscheiden sich stark: Wüstenausbreitung, Starkregen, erodierende Lebensgrundlagen, Wasserknappheit, Ressourcenkonflikte oder der steigende Meeresspiegel erfordern jeweils unterschiedliche politische Antworten – von Anpassungsmaßnahmen über Resilienzaufbau bis hin zu menschenrechtskonformen Umsiedlungen.

Entscheidend ist aber auch: Wir brauchen Reparationen für Klimaschäden. Viele Schäden sind irreversibel und langfristig – versalztes Land, verlorene Ernten, zerstörte Dörfer, aufgegebene Küstenregionen. Der bestehende Fonds für Verluste und Schäden deckt bisher fast nur kurzfristige Katastrophen ab, nicht aber die dauerhaften, existenzvernichtenden Folgen.