Die Lesekompetenz von Grundschulkindern in Deutschland ist so schlecht wie nie. Wer Probleme beim Lesen hat, wird es später nicht nur im Job schwer haben. Ein Wettbewerb will zum Lernen motivieren.
Lesen, lesen, lesen: “Wichtig ist, dass Kinder überhaupt lesen. Es müssen nicht immer gedruckte Bücher sein, auch andere Medien wie Zeitungsartikel, E-Books oder Hörbücher steigern die Lesekompetenz”, sagt Kaspar Pflaum vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Zwar hätten auch Onlinemedien ihren Platz, doch ein Buch bietet laut Pflaum einen entscheidenden Vorteil: “Es ermöglicht eine konzentrierte Auseinandersetzung mit einem längeren Text – ohne Verlust des Fokus, etwa beim ständigen Aufploppen neuer kurzer Inhalte wie auf dem Smartphone.”
Um Kinder trotz digitaler Reizüberflutung für Bücher zu begeistern, organisiert Pflaum jedes Jahr den bundesweiten Vorlesewettbewerb, der unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten steht und zu den größten Schülerwettbewerben in Deutschland gehört. Rund 500.000 Schülerinnen und Schüler der sechsten Klasse nehmen jährlich daran teil; Start ist jeweils im Oktober.
“In jeder Runde wird zweimal gelesen”, erklärt Pflaum. Zunächst dürfen sich die Kinder selbst einen dreiminütigen Text aussuchen. Danach folgt ein unbekannter Text, aus dem sie für zwei Minuten vorlesen. Bewertet wird das Ganze von Lehrkräften und teilweise auch ehemaligen Gewinnerinnen und Gewinnern. Wer überzeugt, qualifiziert sich für das Regionalfinale. Die Besten treten dann beim Bundesfinale im Juni in Berlin gegeneinander an.
Der erste Wettbewerb fand 1959 zur Zeit Erich Kästners statt – schon damals mit dem Ziel, Kinder fürs Lesen zu begeistern. Heute gehe es vor allem auch darum, das Lesevermögen der jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu stärken und sie für moderne Jugendliteratur zu gewinnen. Dies sei heute so wichtig wie nie, sagt Pflaum. Jedes vierte Kind erreicht laut IGLU-Studie beim Lesen nicht den international festgelegten Mindeststandard, der für das weitere erfolgreiche Lernen nötig wäre.
Auch Sabine Uehlein, Geschäftsführerin der Stiftung Lesen, unterstreicht: “Lesekompetenz ist der Schlüssel – nicht nur für schulischen Erfolg, sondern für die aktive Teilhabe an einer demokratischen Gesellschaft.” Wer gut lesen könne, sei in der Lage, Informationen schnell zu erfassen, kritisch zu hinterfragen und zwischen Fakten und Fakes zu unterscheiden.
Darüber hinaus sei Leseförderung immer auch Gesundheitsförderung. Wie Menschen beim Finden, Beurteilen und Anwenden von Gesundheitsinformationen vorgehen, hänge von ihrer Lesefähigkeit ab. Uehlein: “Nur wer lesen kann, kann Informationen einordnen und Risiken bewerten. Das fängt beim Beipackzettel an und geht hin bis zu den Informationen, die wir im Netz finden.”
Eltern rät sie deshalb, mit ihren Kindern früh lesen zu lernen – am besten weit vor dem Eintritt in die Grundschule: “Kinder sollten ihre Eltern beim Lesen erleben und regelmäßig selbst vorgelesen bekommen”. In der Schule könnten Wettbewerbe einen weiteren wertvollen Impuls setzen. Wichtig sei dabei jedoch, den Leistungsdruck im Blick zu behalten.
Diese Sorge teilt Maria Müller, Grundschullehrerin im sächsischen Döbeln, die sich besonders für Kinder mit Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS) engagiert. “Manche Kinder fallen aus Angst vor Fehlern in eine Schockstarre, wenn sie vor der Klasse vorlesen müssen. Es gibt nichts Schlimmeres als von seinesgleichen bloßgestellt werden”, sagt Müller. Ein respektvoller Umgang im Unterricht sei deshalb entscheidend. Methoden wie das Klopfen auf den Tisch bei Lesefehlern lehnt sie ab. “Fehler gehören dazu. Ich berichtige behutsam oder bespreche den Text am Ende gemeinsam mit der Klasse.”