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Publizistin über Einsamkeit – Warum Menschen sich verbinden müssen

Durch Soziale Medien sind Menschen vernetzt wie nie, dennoch fühlen sich immer mehr einsam. Ronja von Wurmb-Seibel wirbt in ihrem Buch “Zusammen” für Verbundenheit – diese fördere Gesundheit und auch Demokratie.

Aktuelle Studien zeigen, dass sich immer mehr Menschen hierzulande – junge wie alte – einsam fühlen. Gegen die Einsamkeit und ihre gesundheitlichen und gesellschaftlichen Folgen schreibt die Journalistin und Regisseurin Ronja von Wurmb-Seibel in ihrem neuen Buch “Zusammen” an. Ihr zufolge brauchen Menschen Verbündete in ihrem Leben, denn “in soziale Bindungen zu investieren (…) ist das Beste, was wir für unsere Gesundheit tun können”. Auch auf gesellschaftlicher Ebene führe Gemeinschaft dazu, sich stärker zu engagieren und an politischen Prozessen teilzunehmen.

Die 38-jährige Autorin hat sich nach ihrem Erfolgsbuch zum bewussten Nachrichtenkonsum (“Wie wir die Welt sehen”) nun durch zahlreiche Studien und Fachliteratur zum Miteinander gearbeitet. Die Erkenntnisse schreibt sie kurzweilig zusammen und spickt sie mit eigenen Anekdoten. So fiel es Wurmb-Seibel etwa auf, dass sich ihr Hausarzt stets so genau nach ihrem Befinden erkundigte: “Hatten Sie vermehrt Streit mit Ihrem Partner? Stehen Sie gerade beruflich sehr unter Druck?” Sie berichtet, dass sie irgendwann begann, diese Gespräche zu schätzen – und erinnert sich an einen Satz des Allgemeinmediziners: “Das Leben ist einfach zu anstrengend, um da ganz alleine durchzumüssen.”

Wurmb-Seibel, die zwei Jahre lang als Korrespondentin in Kabul lebte, zitiert auch ein afghanisches Sprichwort: “Mit einer Hand kann man nicht klatschen.” Jeder Mensch brauche andere; gleichzeitig kenne es fast jeder, sich einsam zu fühlen. Wie Hunger oder Durst sei Einsamkeit ein Warnsignal, das zeige, dass man sich aufmachen müsse, um sich mit anderen zu verbinden. Aktiv nach Verbundenheit zu suchen sei nicht unbedingt anstrengend, sagt Wurmb-Seibel im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Aber es erfordere Mut: “Der wird aber auch belohnt, und zwar schnell.”

Die Autorin lebt mit Partner und Kind noch nicht lange in einem bayrischen 500-Seelen-Dorf. Sie hat einige Selbstversuche unternommen und weiß also, wovon sie spricht. Wurmb-Seibel befolgte etwa den Rat, einfach die Schuhe anzuziehen und vor die Tür zu gehen. Denn jede Begegnung, jedes Grüßen und jeder Plausch lässt eine Person sich etwas weniger abgeschnitten fühlen. Wurmb-Seibel läuft nach einem Spaziergang, in der sie fast keine Menschenseele traf, schließlich in ihre Nachbarin hinein, die draußen Schnee schippt. Ihr “sozialer Motor” springt an, schreibt Wurmb-Seibel: “Ich fühle mich nicht nur weniger allein, ich fühle mich wieder verbunden.”

Menschen in Gegenden mit viel Abwanderung und Menschen in Gegenden, die weit abgelegen vom nächsten Zentrum sind, neigen Studien zufolge dazu, sich einsamer zu fühlen. Einige Forscher sehen darin einen Grund, warum sich Ostdeutsche tendenziell einsamer fühlten als Menschen im Rest von Deutschland. Einsame Menschen können wiederum offener sein für Verschwörungsmythen und extremes Gedankengut. Dass nun jüngst drei Landtagswahlen in ostdeutschen Bundesländern mit einer enorm hohen Zustimmung für die teils als rechtsextrem eingestufte AfD ausgingen, lässt Wurmb-Seibel jedoch nicht die Hoffnung verlieren.

“Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass immer noch Zwei Drittel der Wähler die AfD nicht gewählt haben”, sagt die Journalistin. Studien belegten, dass breite gesellschaftliche Bündnisse am besten gegen Rechtsradikalismus helfen würden. “Und die Bildung solcher Bündnisse habe ich in diesem Jahr in Deutschland schon beobachtet – aber Dinge brauchen eben Zeit, bis sie wirken”, sagt sie. Wurmb-Seibel fordert statt spaltender Debatten eine Konzentration auf das, was die Gesellschaft verbinde. “Wir müssen einen Gegenentwurf von einer Gesellschaft hochhalten, in der wir gerne leben wollen.”

Wurmb-Seibels Buch kann als mutmachende Anleitung verstanden werden, sich mit anderen zu verbinden. So hält “Zusammen” viele Experimente für den Alltag bereit, die die Lesenden ausprobieren können: etwa zu versuchen, eine Woche lang jeden Tag eine neue Person anzusprechen. Wurmb-Seibel selbst beherzigt nach eigenen Worten eines besonders: “Man kann überlegen, was einem selbst gut tut, und andere dann dazu einladen”, erklärt sie. “Ich bin immer wieder überrascht, wie viele Möglichkeiten sich da ergeben.” Allein zu wissen, dass Verbundenheit mit anderen erwiesenermaßen gesund ist, habe für sie dazu geführt, mehr Energie in soziale Bindungen zu stecken.

Allerdings braucht es dafür Zeit, gar Muße. Dass von beidem in einer durchökonomisierten Gesellschaft wenig vorhanden ist, problematisiert das Buch ebenfalls. Wurmb-Seibel schreibt: “Anstatt mir vorzunehmen, über die Jahre immer mehr Geld zu verdienen, habe ich mir vorgenommen, über die Jahre immer weniger Zeit mit Lohnarbeit verbringen zu müssen.” Das muss man sich natürlich leisten können. Dennoch: Dass Soziale Bindungen für Menschen so essenziell sind wie Essen und Trinken, das beschreibt “Zusammen” eindrücklich. Zum Glück ist es demnach auch nie zu spät, damit anzufangen, sich zu verbinden.