Die Corona-Zeit hat die Gesellschaft geprägt – die Rede von einem “kollektiven Trauma” sieht ein Psychiater jedoch skeptisch. “Sprache ist unendlich – dieser Ausdruck hat aber nichts mit dem medizinisch-psychologischen Trauma-Begriff zu tun”, sagte Frank Schneider der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Menschen, die nach einem einschneidenden Ereignis an einer Traumafolgestörung litten, wiesen neben dem erschütternden Ereignis klare Krankheitszeichen auf.
Über 80 Prozent der Menschen entwickelten zudem keine Störung, auch wenn sie extrem Bedrohliches erfahren hätten. Dennoch sei es sinnvoll, sich mit den Auswirkungen der Pandemie zu befassen, etwa der Frage, welche Faktoren eher bestärkend oder verunsichernd gewirkt hätten, betonte der Düsseldorfer Professor. Zudem sei Prävention gefragt, “denn die nächste Pandemie wird kommen”: Unabhängig von Traumatisierungen müssten etwa Kliniken und Politik daran arbeiten, Schutzmaterial und Medikamente bereitzustellen, mehr Forschung und Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben.
Maßnahmen gegen Stigmatisierung zeigen Wirkung
Als positive Entwicklung sieht es Schneider, dass Maßnahmen gegen die Stigmatisierung psychisch kranker Menschen allmählich Wirkung zeigten: “Heute kann man eher als früher sagen, ich habe eine Depression oder eine Posttraumatische Belastungsstörung.” In beiden Fällen sei bekannt, dass diese Erkrankungen jede und jeden treffen könnten, ohne dass man etwas dafür könne. “Das führt dazu, dass man die Betroffenen eher in den Arm nimmt und zu unterstützen versucht.”
Wer indes an Schizophrenie leide oder heroinsüchtig sei, vertraue sich eher niemandem an. “Gesellschaftlich betrachtet gibt es Krankheiten, die in der Öffentlichkeit stehen, die kann man haben – und andere, die kann man weiterhin nicht haben”, kritisierte der Experte, der auch in der Robert-Enke-Stiftung aktiv ist. Benannt nach dem Fußballtorwart, der sich im Jahr 2009 das Leben genommen hatte, klärt die Stiftung über Depressionen, Suizid und Stigmatisierung auf.