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Proteste in Georgien gegen die Präsidentenwahl und für Europa

Viele Menschen in Georgien sind wütend: Seit Wochen protestieren sie gegen die bevorstehende Wahl des Ex-Fußballers Micheil Kawelaschwili zum neuen Staatsoberhaupt. Dafür nehmen sie auch Verhaftungen in Kauf.

In Tiflis, der Hauptstadt Georgiens, ist es kalt, ein eisiger Wind weht. Und es könnte noch kälter werden. Schnee ist angesagt. Doch das hält seit mehr als zwei Wochen Menschen nicht davon ab, gegen die Regierung zu protestieren. Treffpunkt ist der zentrale Rustaweli-Prospekt, wo Tausende Menschen fordern: Das Land muss zurück auf den Weg nach Europa; es braucht neue und faire Parlamentswahlen, und die bei Protesten Festgenommenen müssen freigelassen werden.

In dieser aufgeheizten Stimmung soll am Samstag ein neuer Präsident gewählt werden, was sehr umstritten ist. “Diese Präsidentschaftswahl findet in einem neuen Format statt”, sagt Paata Zakareishvili, der von 2012 bis 2016 als Minister für Versöhnung und Gleichberechtigung selbst Regierungsmitglied war, der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Erstmals, so Zakareishvili, entscheidet eine 300-köpfige Wahlversammlung, wer künftig an der Staatsspitze steht, und nicht mehr eine Direktwahl.

Dem neuen Wahlgremium gehören neben Abgeordneten Vertreter von Kommunen und der Verwaltungen von Abchasien und Süd-Ossetien an. “In dieser Wahlversammlung sitzen Abgeordnete, die bei den Parlamentswahlen im Oktober gewählt wurden. Da jedoch diese Wahlen wegen der bekannt gewordenen Fälschungen von einer aktiven Mehrheit der Bevölkerung nicht anerkannt werden, ist auch die Wahl eines neuen Präsidenten durch dieses Gremium nicht legitim”, so Zakareishvili. Deshalb bleibe die Ende 2018 direkt vom Volk gewählte Präsidentin Salome Surabischwili weiterhin legitime Präsidentin, betont der einstige Minister.

Einziger Präsidentschaftskandidat ist Micheil Kawelaschwili, ein ehemaliger Fußballspieler. “Kawelaschwili ist ein aggressiver Populist, dessen einzig wirkliche Qualifikation die Loyalität zum de-facto-Entscheider in Georgien, dem Oligarchen Bidsina Iwanischwili, ist. Seine Wahl zum Präsidenten wäre in erster Linie ein Affront gegen das georgische Volk”, sagt Stephan Malerius der KNA. Er leitet das Regionalprogramm Politischer Dialog Südkaukasus der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Tiflis.

Dieser Ex-Fußballer habe sich bisher in keiner Weise als Politiker hervorgetan, kritisiert auch Zakareishvili. Kawelaschwili vertrete rechtsradikale Werte, sei außerdem ein Gegner der LGBTQ-Gemeinschaft, also von Menschen, die sich etwa als lesbisch, schwul oder queer identifizieren.

Die Proteste, die am 28. November in Tiflis und anderen Städten des Landes begannen, richten sich nicht nur gegen die Wahl von Kawelaschwili. Den Demonstrierenden geht es auch um Europa. Die Demonstrationen begannen, nachdem Ministerpräsident Irakli Kobachidze ankündigte, die Gespräche über einen EU-Beitritt bis 2028 auszusetzen.

Noch am selben Abend meldete sich Präsidentin Salome Surabischvili. Sie rief die Bevölkerung, die Botschafter und die Opposition zum Widerstand gegen einen Kurs auf, der Georgien vom europäischen Weg abzubringen drohe. Tausende Menschen folgten ihrem Aufruf und protestieren mitunter täglich.

Doch das ist riskant. Seit dem 28. November haben die georgischen Sicherheitskräfte mehr als 400 Personen festgenommen. Unter den Festgenommenen befinden sich keine Angehörigen der Sicherheitskräfte, obwohl Hunderte von Menschen, darunter auch mehr als 60 Journalisten, bei den Protesten brutal misshandelt wurden. Das kritisierten verschiedene Journalistenverbände wie etwa der Recherchezusammenschluss zu organisierter Kriminalität und Korruption.

Sehr kontrovers wird in den sozialen Netzen eine Aktion von Regierungsgegnern diskutiert, die die Protestierenden am 9. Dezember auf dem Rustaweli Boulevard veranstalteten. Sie trugen einen Sarg, in dem ein Bild des Oligarchen Bidzina Ivanishvili, des starken Mannes der Regierungspartei, lag. Der Sarg wurde später vor dem Parlament verbrannt, begleitet von den Rufen: “Es lebe Georgien!”.

Die georgische orthodoxe Kirche, die mehrheitlich hinter der regierenden Partei steht, bezeichnete das als satanischen Ritus. Angeblich war auf dem Sarg ein Bild von Christus zu sehen.

Derzeit hält sich eine Gruppe von Mitgliedern des Europäischen Parlaments in Tiflis auf, um Informationen zur aktuellen Lage zu sammeln. Nach Gesprächen mit der Präsidentin, den Oppositionsparteien, Nichtregierungsorganisationen und Medienvertretern erklärten sie ihre Unterstützung für die Forderung der Demonstrierenden nach Neuwahlen.

Deutliche Worte von Seiten der EU, das fordert auch Stephan Malerius: “Europa und seine Institutionen müssen sich viel aktiver an die Seite der Menschen in Georgien stellen und klar machen, dass weder der neue Präsident noch die aktuelle Regierung, die im Oktober aus flagrant gefälschten Wahlen hervorgegangen ist, anerkannt werden.”