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Politologe Herfried Münkler sieht Epochenbruch

Der transatlantische Westen als Stützpfeiler der Weltordnung löse sich auf, analysiert der Politikwissenschaftler Herfried Münkler. Doch für Europa würden die globalen Veränderungen auch Chancen bieten, meint er.

Aus Sicht des Politikwissenschaftlers Herfried Münkler findet derzeit ein Epochenbruch statt. “Der transatlantische Westen als Stützpfeiler der Weltordnung löst sich auf – der Streit zwischen Trump und Selenskyj symbolisiert diesen Wendepunkt”, sagte Münkler dem Berliner “Tagesspiegel” (Mittwoch). “Sie waren die ikonische Verdichtung eines Endpunktes.” Es handele sich um einen “Tipping Point”, nicht nur um ein aus dem Ruder gelaufenes Gespräch. Zwischen US-Präsident Donald Trump und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj war es Ende Februar vor laufenden Kameras zu einem Eklat gekommen.

An die Stelle der bisherigen regelbasierten Ordnung tritt laut Münkler eine machtbasierte Ordnung: “Wenn es keinen Hüter der Ordnung mehr gibt, niemanden, der die Regeln garantiert, wird der Regelbrecher zum Gewinner.” Die Trump-Administration habe beschlossen, den russischen Regelbruch zu akzeptieren. Dazu gehörten die “Abtrennung bestimmter Gebiete im Donbass, keine Nato-Mitgliedschaft für die Ukraine und die öffentliche Demütigung Selenskyjs”, so Münkler weiter.

In diesem Bruch sieht der Politikwissenschaftler aber auch eine Chance für Europa. Das Verhalten von Putin und Trump zwinge die Europäer jetzt zu Schritten, die sie aus eigenem Antrieb nicht getan hätten – etwa in der Außen- und Sicherheitspolitik. Das Weimarer Dreieck aus Frankreich, Polen und Deutschland plus Italien und gegebenenfalls Großbritannien – “fünf Große, die Europas Außen- und Sicherheitspolitik lenken” – sieht Münkler als Option. Ferner: “Ein gemeinsamer europäischer Oberbefehlshaber für die nationalen Armeen und eine zweistufige Mitgliedschaft wären zentral. So könnte Europa mit den USA, China und Russland mithalten, einschließlich eigener nuklearer Abschreckung.”

Man könne, so Münkler, durchaus zuversichtlich sein, dass Europa sich behaupten kann. “Es gibt zwar keine Garantie dafür, aber die Möglichkeit dazu besteht.”