Ein Blutdruck-Messgerät hatte Jonas (14) vorher noch nie in der Hand. „Es macht Spaß, so etwas mal auszuprobieren“, findet der Schüler der Stadtteilschule Hamburg-Bergstedt. Beim Projekttag „Jungs in der Pflege“ im Senator-Neumann-Haus legt der Achtklässler seinem Mitschüler die Manschette an, fühlt den Puls. Andere Jungen wickeln Verbandspäckchen aus, üben Druckverband oder testen den Lifter, der eine Menschenpuppe aus dem Bett in den Rollstuhl hebt.
„Wir wollen Hemmschwellen abbauen und zeigen, dass Pflege nicht nur weiblich ist“, sagt Ausbilder Simon Lachmann vom Sozialkontor, einem gemeinnützigen Anbieter von Assistenzleistungen für Menschen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen. Zuerst ist Bewohner Timo Berdien dran. Er sitzt im St. Pauli-Trikot im Rollstuhl, erzählt munter drauflos: Über seinen Job und was er am liebsten in seiner Freizeit macht. Dann verteilen sich die Schüler der 8. Klasse an verschiedene Praxis-Stationen.
Pflegeberufe für Jungen: Aktion macht neugierig
Ziel der Berufsvorbereitung ist es, neugierig zu machen. „Im Moment haben wir immer noch die klassischen Rollenbilder: Jungen gehen in die Werkstatt, Mädchen in die sozialen Berufe“, beobachtet Jonas Saßmannshausen, Lehrer der Stadtteilschule Bergstedt. Er möchte, dass das künftig anders wird: Kein Junge sollte als „uncool“ gelten oder sich einen Spruch einfangen, wenn er Pfleger werden will. „Es ist für alle Menschen gut, wenn Klischees durchbrochen werden und man seinen Horizont erweitert“, sagt Saßmannshausen. Jeder Mensch sollte einfach das lernen, was zu ihm passt.
Eine Ausbildung in der Pflege ist durchaus gefragt: „Ganz offensichtlich wollen viele junge Menschen in ihrem Berufsleben etwas Sinnstiftendes tun, etwas, das anderen hilft – das ist ermutigend“, sagt Bildungsexperte Arnold Rekittke von der Gewerkschaft ver.di Hamburg. Um den Nachwuchs langfristig in den Pflegeberufen zu halten, müssten sich jedoch die Bedingungen in der Ausbildung und im betrieblichen Alltag weiter verbessern.
Laut vorläufigen Daten des Statistischen Bundesamtes waren Ende 2024 insgesamt 147.100 Menschen in einer Ausbildung zu Pflege-Fachleuten. Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge stieg deutlich um 9 Prozent auf rund 59.500. Insgesamt machen vor allem Frauen eine Ausbildung in der Pflege. Zwar wuchs die Zahl der männlichen Auszubildenden 2024 gegenüber dem Vorjahr um 4 Prozent auf 38.400. Dennoch waren immer noch fast Dreiviertel (74 Prozent) der Pflegeazubis weiblich.
Pflege: Warum Jungen gebraucht werden
Ausbilder Lachmann hofft, dass sich das ändern wird: „Wir brauchen mehr Menschen in der Pflege, vor allem auch mehr Männer.“ Trotz Hilfsmitteln sei die Arbeit mit Menschen mit Behinderungen teilweise körperlich anstrengend. Nicht zuletzt sollte das Pflegeteam auch das „normale Leben widerspiegeln“, findet er. Viele Männer möchten sich lieber von Männern versorgen lassen. Lachmann: „Da spielen auch kulturelle Einflüsse eine Rolle, die wir berücksichtigen müssen.“
Um mehr Pflegenachwuchs zu gewinnen, kooperiert das Sozialkontor mittlerweile mit einigen weiterführenden Schulen in Hamburg und Schleswig-Holstein. Im Rahmen des Projekts „Care – Entdecke deine Berufung“ werden praktische Unterrichtsangebote für die Berufsorientierung gestaltet. Lachmann: „Wir wollen jungen Menschen authentische und auch positive Erfahrungen mit Pflegeberufen ermöglichen.“