Nur wer sich auch an die schmerzhafte Vergangenheit erinnert, der kann eine friedliche Zukunft gestalten. Eberhard Dittus hat diese Erkenntnis zu seiner Lebensmaxime gemacht: Seit Jahrzehnten engagiert sich der 70-jährige ehemalige Religionspädagoge und Diakon aus Neustadt an der Weinstraße in der Gedenk- und Friedensarbeit in Rheinland-Pfalz. „Aus der Geschichte zu lernen ist wichtig“, sagt Dittus, der im Ruhestand ein doppeltes Ehrenamt bekleidet. Er ist Beauftragter für Gedenkstättenarbeit der Evangelischen Kirche der Pfalz und zugleich Beauftragter der Jüdischen Kultusgemeinde der Rheinpfalz für den Erhalt jüdischer Friedhöfe in der Pfalz.
Rastlos ist der gebürtige Schwabe in der Pfalz unterwegs, um die Erinnerungskultur besonders mit Blick auf die nationalsozialistischen Verbrechen am Judentum zu stärken. Vor allem Bildung sei wichtig, um andere Menschen besser zu verstehen und mit ihnen friedlich zusammenleben zu können. „Noch immer gibt es mit Blick auf die jüdische Kultur und Religion ein sehr großes Unwissen in der Bevölkerung“, bemängelt Dittus, der auch dem Arbeitskreis „Kirche und Judentum“ der Pfälzer Kirche angehört.
Der Beauftragte bietet auf Anfrage etwa Führungen über jüdische Friedhöfe in der Pfalz an oder durch die Gedenkstätte für NS-Opfer in Neustadt an der Weinstraße, die er mit initiiert hat. Besonders junge Menschen will Dittus gewinnen, um „gegen das Vergessen“ anzugehen, wie er sagt. Mit Schulklassen pflegt er etwa jüdische Friedhöfe, die für ihn wichtige Gedenkorte sind. Die jüdische Kultur und Religion habe die Kultur in der Pfalz und in ganz Deutschland stark geprägt, sagt er.
Der biblische Auftrag, den Frieden mit den Mitmenschen zu suchen, ziehe sich „wie ein roter Faden“ durch sein Leben, sagt Dittus, der in seiner aktiven Zeit bei der Pfälzer Kirche auch Kriegsdienstverweigerer betreute. Junge Menschen machten etwa gerne bei der Pflege von jüdischen Friedhöfen oder „Stolpersteinen“ für NS-Opfer mit, wenn man sie direkt anspreche: „Ich brauche Euch dafür, es gibt keine Nachkommen mehr.“ Wichtig sei es aber, dass die Schülerinnen und Schüler sich freiwillig in ihrer Freizeit engagierten und nicht von der Lehrerschaft geschickt werde.
Rund 80 jüdische Friedhöfe gibt es in der Pfalz, nur fünf in Speyer, Ludwigshafen, Frankenthal, Kaiserslautern und Neustadt werden noch für Bestattungen genutzt. Gemeinsam mit einem Vertreter der jüdischen Kultusgemeinde überprüft er regelmäßig den Zustand der alten, nicht mehr belegten jüdischen Friedhöfe. Nur einige, wie in Landau oder Hochspeyer, sind öffentlich zugängig. Friedhöfe sind für das Judentum heilige Orte. Sie sind auf Ewigkeit angelegt – die Gräber müssen für die Totenruhe gewahrt sein. Glücklicherweise gibt es Dittus zufolge momentan keine Probleme mit Friedhofsschändungen – auch, weil die Polizei sie verstärkt im Auge habe.
Momentan sammelt Dittus Spenden für die Umgestaltung des alten jüdischen Friedhofs Zweibrücken-Bubenhausen zu einer Gedenkstätte. Das Land Rheinland-Pfalz zahle für die Pflege der jüdischen Friedhöfe einen Pauschalbetrag von 1,20 Euro pro Quadratmeter, den Rest der Kosten trügen in der Regel die Kommunen. Im Vergleich zu manchen anderen Bundesländern liege die Finanzierung „an der alleruntersten Grenze“, beklagt Dittus. Die jüdische Kultusgemeinde habe zur Pflege alter Friedhöfe keine finanziellen Mittel. „Im Großen und Ganzen reicht das Geld dafür nicht“, sagt er.
Auch bietet der umtriebige Religionspädagoge neuerdings Stadtführungen durch das fast 700-jährige jüdische Neustadt mit Bezügen zum Wein im Judentum an. Kritisch will sich der zertifizierte „Kultur- und Weinbotschafter“ für die Pfalz im kommenden Jahr mit dem 100. Jubiläum der Deutschen Weinstraße auseinandersetzen. Mit dem Projekt „Alternative Weinstraße“ will er aufzeigen, wie die Weinstraße von den Nationalsozialisten zur Vermarktung des regionalen Weines aufgebaut und politisch vereinnahmt wurde. Dabei wurden jüdische Weinhändler diskriminiert und auch enteignet.
Etwas Bauchweh bereitet Eberhard Dittus die Frage, ob seine von ihm geleistete Gedenkarbeit weitergeführt wird, wenn er eines Tages aufhört. „Es ist keine Nachfolgerin oder kein Nachfolger in Sicht.“