Seit Mitte Oktober 2023 ist Stephen Lakkis offiziell Pfarrer in der Christusgemeinde in Pforzheim. Der 50-Jährige, dessen Familie aus dem Libanon stammt, war viele Jahre in Taiwan in der Friedensarbeit tätig. 2020 wechselte er in die Badische Landeskirche. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) äußerte sich der Theologe unter anderem zum Konflikt im Nahen Osten.
epd: Herr Lakkis, es ist nicht einfach, Ihre umfangreichen Tätigkeiten in zwei Sätzen zu beschreiben. Wie sehen Sie sich selbst in Ihrer Arbeit?
Lakkis: Die christliche Theologie ist für mich sehr wichtig. Es geht um die Schnittstelle zwischen unserem Glauben und unserer Welt, wie der Glaube hilft, soziale und politische Fragen zu beantworten. Für mich ist klar: Im christlichen Glauben geht es um Veränderung, persönliche Veränderung, gesellschaftliche Veränderung, Weltveränderung.
epd: Sie waren fast 14 Jahre in Taiwan tätig. Welche Erfahrungen bringen Sie von dort mit nach Deutschland?
Lakkis: Taiwan war ein sehr beeindruckender Ort. Das Volk dort hat eine große Begeisterung für sein Land, Verbesserungen trägt es mit. Taiwan ist ein Land ohne große Naturressourcen. Jede soziale, gesellschaftliche Entwicklung ist die Folge von Bildung und Kultur. Es gibt dort eine große Energie, Herausforderungen anzunehmen. Die Menschen in Taiwan sind offen für jeden, der sie bei der Verbesserung von Problemen unterstützt. Die Kirche spielte und spielt dabei eine große Rolle, insbesondere bei der Entwicklung der Demokratie und der Achtung von Menschenrechten. In Deutschland fehlt meiner Erfahrung nach mitunter diese Begeisterung. Mir scheint es, dass viele Menschen die Probleme, die es gibt, akzeptiert und resigniert haben.
epd: Wie erleben Sie Ihre Arbeit in Pforzheim? Sie waren ja schon vor Ihrer Einführung vergangenen Dezember rund ein Jahr lang dort tätig.
Lakkis: Pforzheim ist durch seine Internationalität eine sehr interessante Stadt. Ich treffe viele Leute aus vielen verschiedenen Ländern. Das finde ich sehr wertvoll. Es ist schade, dass die Stadt nicht sehr wertgeschätzt ist. Woanders war es immer ein Vorteil, wenn es eine multikulturelle Gesellschaft gab. Hier tun sich die Leute schwer damit. Immer wieder höre ich, wie sich Leute darüber beschweren, dass so viele Ausländer in der Stadt leben, statt sie als Bereicherung wahrzunehmen.
epd: Sie sind ein weit gereister Christ mit familiären Wurzeln im Libanon. Welche Chancen geben Sie einem Frieden im Nahen Osten?
Lakkis: Ich sehe eine große Herausforderung darin, dass viele Leute meinen, es handle sich um einen religiösen Krieg zwischen Muslimen und Juden. Diese Idee ist weitverbreitet. Aber es ist auch eine sehr gefährliche Idee. Das ist ein sehr vereinfachtes Bild von Religion. Nicht alle in Palästina sind Muslime, wir haben viele christliche Gemeinden, die in Palästina sind. Und nicht alle in Israel sind Juden. Es geht meiner Einschätzung nach nicht um religiöse Ideen. Die Beschreibung als religiöser Krieg dient als Ausrede dafür, dass es keine Lösung für den Konflikt geben könne. Wenn man dagegen betont, dass es hier in Wahrheit um einen politischen Streit geht, dann darf und muss man politische Lösungen erwarten.
epd: Was könnte die weltweite Ökumene bewirken?
Lakkis: Die aktuelle Lage ist sehr verfahren. Wenn man die ganze Region betrachtet, ist das jedoch eine kurzfristige Einschätzung. Es war nicht immer so. Der Konflikt schwelt seit einigen Jahrzehnten, das ist lange. Aber davor gab es Frieden. Und es kann wieder Frieden geben. Ich finde, ein wichtiger Aspekt ist, dass wir pluralistische Gesellschaften bauen. Das ist unsere Stärke als christliche Gemeinden, dass wir diesen Pluralismus aufzeigen können. Eine weitere wichtige Aufgabe ist es, für einen gerechten Frieden zu arbeiten. Das ist ein Teil unserer Identität als Christinnen und Christen. Gemeinsam haben wir eine starke Stimme. Wir können sagen, was wir erwarten: Wir erwarten politische Lösungen in so einem Konflikt und wir akzeptieren nicht länger diese Rechtfertigungen der Gewalt. Wenn wir an den Wert des Lebens, jedes einzelnen Lebens glauben, dann müssen wir als Christen dafür kämpfen, dass die Menschenrechte, die Würde des Lebens geschützt werden. (0101/16.01.2024)