Harte Kritik an der europäischen Flüchtlingspolitik übt der Interkulturelle Beauftragte der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), Pfarrer Andreas Lipsch. „Was wir zurzeit erleben, ist ein historischer Tiefpunkt des Flüchtlingsschutzes in Europa“, sagte er am Freitag vor der in Frankfurt am Main tagenden Kirchensynode. Damit bezog er sich auch auf die jüngste Asylrechtsreform, die unter anderem Asylverfahren an den europäischen Außengrenzen vorsieht.
Der häufiger zu hörenden Aussage, in Deutschland gebe es zu viele Flüchtlinge, hielt Lipsch Zahlen entgegen. Weltweit seien Mitte des vergangenen Jahres 110 Millionen Menschen auf der Flucht gewesen. Das entspreche etwa 1,3 Prozent der Weltbevölkerung und sei keine Krise, sondern eine Aufgabe für den Rest der Welt. Von den 110 Millionen Menschen seien 36 Millionen international auf der Flucht, allerdings hielten sich davon 70 Prozent in den jeweiligen Nachbarländern auf. „Wir brauchen keine Rückkehroffensive, sondern eine Integrationsoffensive“, sagte Lipsch während einer aktuellen Stunde der Synode zum Thema Kirchenasyl.
In jedem einzelnen Fall von Kirchenasyl gehe es um das Menschenrecht auf Schutz. Wer dies gewähre, übe sich nicht in zivilem Ungehorsam, sondern in „zivilem Menschenrechtsgehorsam“, sagt Lipsch. Bei dem vorübergehenden Schutz handele es sich um ein „diakonisches Dazwischengehen“. Bei einem Kirchenasyl gehe es nicht um ein Sonderrecht der Kirchen, sondern um ein Instrument des Rechtsstaats, das es erlaube, die eigene Entscheidung noch einmal zu überprüfen, sagte der Synodale Conny von Schumann.
Erfahrung mit der Gewährung von Kirchenasyl hat das Dekanat Gießen. Dekan André Witte-Karp sprach von mehr als 90 Kirchenasylen, die im Dekanat bisher gewährt worden seien. Seit 2021 verstehe man das als eine Gemeinschaftsaufgabe des Dekanats und habe damit gute Erfahrungen gemacht.
Kirchenpräsident Volker Jung betonte, die EKHN unterstütze alle in Gemeinden und Diakonie, die sich für Kirchenasyl einsetzten. Er wisse es zu schätzen, dass der deutsche Staat diese Möglichkeit biete.
Nach Angaben der EKHN haben in ihren Gemeinden im vergangenen Jahr insgesamt 174 Erwachsene und 29 Kinder Schutz in einem Kirchenasyl gesucht, die meisten von ihnen aus Syrien oder Afghanistan. Aktuell befänden sich 47 Erwachsene und 7 Kinder im Kirchenasyl in der EKHN.