Hannover/Rio de Janeiro. Wenn Rollstuhlfahrer mit dem Basketball auf dem Schoß über das Spielfeld flitzen, steht Pastor Christian Bode direkt am Spielfeldrand. Er reist als einziger Seelsorger der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zu den Paralympischen Spielen nach Rio de Janeiro, die in der vergangenen Nacht eröffnet worden sind. Ähnlich wie bei den nicht-behinderten Olympioniken stehen auch bei den Paralympics oft sportbezogene Probleme im Vordergrund, sagt der 38-Jährige aus dem niedersächsischen Holzminden. Eine Bodenwelle, der Bruchteil einer Sekunde, eine Windböe oder eine Welle: "Oft können Details über Sieg, Niederlage oder den Gewinn einer erträumten Medaille entscheiden."
Gemeinsam mit einem Kollegen der katholischen Kirche wird Bode das deutsche paralympische Team mit seinen 148 Sportlern und 94 Trainern, Ärzten und Betreuern bei den Wettkämpfen und im olympischen Dorf begleiten. Insgesamt kämpfen 4.350 körperbehinderte Sportler bis zum 18. September um Medaillen.
Mehr Druck für Sportler
Der Pastor, der selbst leidenschaftlicher Marathonläufer ist, kennt sich bei den Paralympics aus. Bereits in Peking 2008 war er als Tischtennistrainer dabei. Seit den Winterspielen im russischen Sotschi vor zwei Jahren würden die Behindertensportler ähnlich finanziell gefördert wie die nicht-behinderten Olympioniken. Auch das öffentliche Bewusstsein für den Behindertensport sei enorm gestiegen, sagt Bode. Das sei grundsätzlich positiv, habe aber auch eine Kehrseite: "Jede Form von Professionalisierung bringt einen zusätzlichen Leistungsdruck auf allen Seiten mit."
Wie bei allen sportlichen Wettkämpfen hätten die Athleten bei der Freude und dem Feiern eines Sieges auch Probleme, das gerade Erlebte zu verstehen und zu erfassen, sagt Bode. Unglückliche Viertplatzierte hingegen bräuchten eine starke Schulter und ein offenes Ohr. Neben den sportlichen Aspekten und der Reflexion der eigenen Leistung gehe es aber auch oft um andere Dinge wie Stress im Team oder Themen des Lebens, betont Bode. "Diese Anliegen bespricht der Athlet lieber mit einer außenstehenden Person."
Seelsorger im Stand-by-Modus
So sei vor vier Jahren in London nur wenige Tage vor dem Start der Spiele ein Familienmitglied eines Schwimmers gestorben, erinnert sich Bode. Der Onkel, der sonst ein zuverlässiger und ständiger Begleiter bei den Schwimm-Wettkämpfen war, habe dann plötzlich gefehlt. In solchen Momenten hört der Theologe den Sportlern aufmerksam zu, nimmt sich Zeit für sie und betet auf Wunsch auch mit ihnen.
Der Pastor will gemeinsam mit dem Kollegen im paralympischen Dorf auch spielerisch Gespräche suchen. Im Gepäck hat er dafür kleine Boule-Sets. Auf den Bällen stehen in fünf Sprachen Schlagworte wie Fairness, Hoffnung oder Frieden. Eine speziell für Olympia und die Paralympics erstellte Broschüre mit Gebeten und Andachtstexten widmet sich diesen Begriffen ausführlicher. Es seien Gedanken, die am Rande der Wettkämpfe für eine Pause zum Durchatmen sorgen sollen. "Unser geistliches Trainingsbuch", sagt der Theologe scherzhaft. Zudem bieten die Seelsorger zwei Gottesdienste für die Sportler, Trainer und Funktionäre sowie für die deutschen Fans und Medienvertreter vor Ort an.
Zum Schluss der Spiele fällt den Sportlern und Mitgereisten erfahrungsgemäß dann oft die Vorbereitung auf den Alltag sehr schwer, sagt Bode. Vor vier Jahren in London traf er auf einen fassungslosen Ruderer. "Ich kann mich doch nicht nächste Woche einfach auf die Bank in der Uni setzen und so tun, als wäre nichts gewesen", sagte er dem Theologen. In Situationen wie diesen gehe es darum, Gedanken zu sortieren, gemeinsam nächste Schritte zu überlegen und auch wieder, einfach zuzuhören, sagt Bode. "Wir sind die Exoten in einem Leistungssystem – Seelsorger im Stand-by-Modus." (epd)