Der Verfassungsschutz darf laut einem Urteil die AfD als extremistischen Verdachtsfall einstufen und unter anderem mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachten. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) für das Land Nordrhein-Westfalen lehnt Berufungsklagen der AfD ab und bestätigte eine Entscheidung der Vorinstanz. Die Rechtsaußen-Partei hatte Hunderte Anträge und zahlreiche Zeugenaussagen aufgeboten, um gegen ihre Einstufung als extremistischer Verdachtsfall vorzugehen.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Eine Revision ließ das Gericht nicht zu. Die AfD kündigte an, gegen diese Entscheidung Beschwerde vor dem Bundesverwaltungsgericht einzulegen.
Gericht: AfD missachtet Menschenwürde
Das OVG sah bei der AfD insgesamt genügend Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die Menschenwürde bestimmter Personengruppen sowie gegen das Demokratieprinzip.„Hier liegen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die AfD verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt“, sagte OVG-Sprecherin Gudrun Dahme. Eine Missachtung der Menschenwürde komme in großem Umfang zum Ausdruck in herabwürdigenden Äußerungen gegenüber Flüchtlingen und Muslimen.
Der Senat habe keine weiteren Aufklärungsmaßnahmen vornehmen müssen, wie sie die AfD mit der Vielzahl ihrer Beweisanträge erreichen wollte, sagte sie. Hier sei es nicht um ein Verbotsverfahren gegangen, sondern lediglich um die Beobachtung der AfD als Verdachtsfall mit nachrichtendienstlichen Mitteln. Ein solcher Verdacht bedeute jedoch nicht, dass eine Verfassungsfeindlichkeit der Partei erwiesen sei.
Auch bei der Jugendorganisation „Junge Alternative“ sah das OVG Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen. Das Gericht lehnte daher Berufungen gegen die Einstufung der Jugendorganisation sowie auch des sogenannten „Flügels“ ab. Die zwischenzeitlich eingestellte Beobachtung des „Flügels“ als Verdachtsfall und später als „erwiesen extremistische Bestrebung“ seien rechtmäßig gewesen, erklärte das OVG.
Wie die AfD reagiert
Das AfD-Bundesvorstandsmitglied Roman Reusch erklärte, dass sich das Gericht einer Beweisaufnahme verweigert habe. „Damit hat das Gericht allerdings sehr ordentliche Revisionsgründe geliefert – und wir werden unser Heil in der nächsten Instanz suchen“, sagte Reusch.
Der Präsident des in Köln ansässigen Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang, bezeichnete die OVG-Entscheidung als „Erfolg für den gesamten Rechtsstaat, für die Demokratie und unsere freiheitlich demokratische Grundordnung“. Das Bundesamt werde „in einem ergebnisoffenen Prüfprozess“ zu gegebener Zeit zu einer weiteren Bewertung der AfD kommen, erklärte er. Die Entscheidung des OVG werde einfließen.
Nancy Faeser lobt Urteil
Für Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zeigt das Urteil, „dass wir eine wehrhafte Demokratie sind“. Der Rechtsstaat habe Instrumente, um die Demokratie vor Bedrohungen von innen schützen. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) unterstrich, dass die Entscheidung „nicht automatisch den Weg zu einem Verbotsverfahren der AfD“ ebne. „Ein solches sollte man nur anstrengen, wenn man sich sehr sicher sein kann, dass es auch erfolgreich wäre“, sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Der Extremismusforscher Andreas Zick sieht die Führung der AfD zunehmend unter Druck. Sie müsse „überlegen, ob sie eine Radikalisierung ihrer Meinungen weiter vorantreibt, oder ob sie mit Blick auf die Europawahl zu Mäßigung aufruft“, sagte Zick dem Evangelischen Pressedienst (epd). Sie habe nach Umfragen massiv an Zuspruch verloren und werde es „mit dem Urteil noch schwerer haben, die internen rechtsextremen Kräfte zu bändigen“.
Der Verfassungsschutz hatte die Partei 2021 als „extremistischen Verdachtsfall“ eingestuft, dagegen klagte die AfD. Das Verwaltungsgericht Köln bestätigte diese Einstufung der AfD und ihrer Jugendorganisation „Junge Alternative“ im März 2022 als rechtmäßig. Gegen diesen Gerichtsentscheid klagte die AfD erneut. Zudem ging es in Münster um die Einstufung des sogenannten Flügels der AfD als Verdachtsfall und als „gesichert extremistische Bestrebung“.