Adolf Hitler tötete sich am 30. April selbst, doch der NS-Staat existierte formell weiter: Am 5. Mai nahm Großadmiral Karl Dönitz, Chef der Kriegsmarine, als „Reichspräsident“ in Flensburg die Regierungsgeschäfte auf. Als von Hitler im Testament bestimmter Staatschef regierte er das „Sondergebiet Mürwik“ – eine winzige, 14 Quadratkilometer große Enklave, die von den Briten noch nicht besetzt war. Das absurde Tun endete wenig später mit der Verhaftung der Regierung – das offizielle Ende des NS-Staates. „Das Deutsche Reich starb an einem sonnigen Morgen des 23. Mai in der Nähe des Ostseehafens Flensburg“, notierte lapidar das amerikanische „Time“-Magazin.
„Das waren 23 Tage zwischen Spuk und letztem Terror, ein bizarres Nachspiel zur großen Katastrophe, die am 30. Januar 1933 begonnen hatte“, urteilt der Historiker Gerhard Paul: „Dieser Untergang in Flensburg wäre der Stoff für einen großen Roman. Er würde ein Sittenporträt eines untergehenden Reiches von Feiglingen und Betrügern, von fanatischem Durchhaltewillen und blutigem Endzeitterror, von Erbärmlichkeit und Egoismus liefern.“
Am 30. April erfuhr Dönitz in seinem Hauptquartier in Plön über Funk vom Tod Adolf Hitlers und dessen Testament, in dem er den Großadmiral als Staatsoberhaupt einsetzte. Am nächsten Tag teilte Dönitz im Rundfunk wahrheitswidrig mit, Hitler sei „vor dem Feind gefallen, nachdem er bis zuletzt gegen den Bolschewismus gekämpft hat“.
Der neue „Reichspräsident“ verlegte seinen Stab vor den heranrückenden britischen Soldaten fluchtartig von Plön nach Flensburg-Mürwik in die Marinesportschule. Dort berief er seine „Geschäftsführende Reichsregierung“. Mit im Kabinett: Graf Schwerin von Krosigk als Leitender Minister, zuständig für Außenpolitik und Finanzen, Albert Speer als Wirtschaftsminister sowie weitere sieben Minister samt Staatssekretären.
Möglich wurde dieses Intermezzo durch die zunehmenden Differenzen zwischen der Sowjetunion und den westlichen Alliierten. Die Dönitz-Regierung blieb zunächst im Amt, weil die Briten die deutschen Militärstrukturen nutzen wollten, um das Ende der Wehrmacht zu organisieren und die Kapitulationsbedingungen abzusichern. Und es brauchte Zeit, um genügend Pressevertreter nach Flensburg zu bringen, um dort das Ende des NS-Regimes öffentlich zu inszenieren.
Dönitz setzte auf einen baldigen Zerfall des Bündnisses zwischen den Westalliierten und der UdSSR. Er begann eine Pendeldiplomatie und hoffte auf eine Teilkapitulation und somit den Erhalt der Kampfkraft der Wehrmacht an der Ostfront. „Meine erste Aufgabe ist es, deutsche Menschen vor der Vernichtung durch den vordrängenden bolschewistischen Feind zu retten. Nur für dieses Ziel geht der militärische Kampf weiter“, sagte er am 1. Mai.
In Verhandlungen mit dem Oberbefehlshaber der britischen Armee in Deutschland, Feldmarschall Bernard Law Montgomery, auf dem Timeloberg erreichte die Regierung am 4. Mai eine Waffenruhe im Westen – ohne Kapitulation im Osten. Dann schickte Dönitz Unterhändler nach Reims ins alliierte Hauptquartier, um mit den Amerikanern eine Teilkapitulation auszuhandeln. Militärchef Dwight D. Eisenhower ließ er mitteilen, dass eine vollständige deutsche Kapitulation wegen der Gefahr aus dem Osten undenkbar sei. Doch Eisenhower verlangte die bedingungslose Niederlegung aller Waffen. Immerhin: Die Regierung nutzte die gewonnene Zeit, um möglichst viele Soldaten und Zivilisten aus den östlichen Gebieten des Reiches in den Westen zu bringen.
Am 23. Mai aber war der NS-Spuk endgültig vorbei. Das Ende der Übergangsregierung vollzog sich im Hinterhof der Polizeidirektion Flensburg als „Operation Blackout“. Der britische Stadtkommandant ließ die Mitglieder der Reichsregierung, Karl Dönitz, Generaloberst Alfred Jodl und Albert Speer, verhaften und stellte sie über 60 Reportern, Fotografen und Kameraleuten zur Schau. „Diejenigen, die da im Innenhof des Flensburger Polizeipräsidiums den Fotografen vorgeführt wurden, waren Massenmörder und durchtriebene Nazis, die noch in letzter Stunde ihre Untergebenen in den Tod getrieben hatten“, so der Historiker Paul.