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Ohne Vater zum Wunschkind: Wie das geht und was es bedeutet

Frauen und homosexuelle Paare setzen beim Kinderwunsch immer häufiger auf eine Samenspende. Der Weg ist aufwändig, teuer und bringt neue Familienmodelle mit sich.

Wenn Familie nicht mehr aus "Vater, Mutter, Kind" besteht (Symbolbild)
Wenn Familie nicht mehr aus "Vater, Mutter, Kind" besteht (Symbolbild)Imago / Westend61

Eigentlich wünschte sich Hanna Schiller immer einen Partner und Kinder. Doch als sie erkannte, dass der Mann, den sie liebte, keinen Nachwuchs wollte, trennte sie sich von ihm und beschloss nach gründlichen Überlegungen, ihren Kinderwunsch mit Hilfe einer Samenspende zu verwirklichen. “Der Rückhalt, den ich von meiner Familie erfahren habe, hat mich mutig gemacht, diesen Weg zu gehen”, sagt die Solomutter heute. Einen Weg, den nicht nur alleinstehende Frauen, sondern auch homosexuelle und ungewollt kinderlose, heterosexuelle Paare gehen – Tendenz steigend.

Mehr als 1.000 Jungen und Mädchen werden nach Angaben des Bundesfamilienministeriums jedes Jahr in Deutschland mittels Samenspende gezeugt; Schätzungen zufolge leben hierzulande mittlerweile rund 100.000 Spenderkinder, von denen wahrscheinlich fünf bis zehn Prozent um ihre Herkunft wissen. Statistisch erfasst werden nur diejenigen, bei denen sich die künftige Mutter an eine der bundesweit 140 Kinderwunschkliniken wendet und dort eine anonyme Spende aus einer Samenbank erhält.

Zahlen zu privaten Samenspenden gibt es nicht

Unklar ist, wie viele Frauen durch eine private Spende schwanger werden, also mit Hilfe eines Mannes aus ihrem Bekannten- oder Freundeskreis, der ihnen sein Ejakulat – beispielsweise per Bechermethode – zur eigenständigen Insemination zur Verfügung stellt. In diesem Fall setzen die biologischen Eltern oft einen schriftlichen Vertrag auf, der unter anderem regelt, wie weit der Vater in den Alltag des Kindes involviert sein soll. Soll er “nur” als Spender fungieren, regelmäßigen Kontakt zu seinem Nachwuchs haben oder kommt gar ein sogenanntes Co-Parenting in Frage?

Der Kinderwunsch wird immer häufiger durch eine Samenspende erfüllt (Symbolbild)
Der Kinderwunsch wird immer häufiger durch eine Samenspende erfüllt (Symbolbild)Imago / Westend61

Bei letzterem handelt es sich um eine gemeinsame Elternschaft, bei der neben Vater und Mutter unter Umständen noch weitere Erwachsene Verantwortung übernehmen – allerdings ohne eine Liebesbeziehung zueinander.

Kirche pocht auf traditionelles Familienbild

Die Haltung der katholischen Kirche zu diesen Formen der Elternschaft ist eindeutig. “Sie steht dem ablehnend gegenüber, da sie eine unauflösliche Einheit zwischen der Vereinigung von Mann und Frau im Liebesakt und der Zeugung von Nachkommenschaft sieht”, erläutert Kerstin Schlögl-Flierl, Moraltheologin und Mitglied im Deutschen Ethikrat. Schlögl-Flierl selbst nimmt von einer moralischen Bewertung Abstand – und plädiert dafür, den Blick aufs Kind zu richten: “Für dieses sind stabile, tragfähige Beziehungen das Beste. Und traditionelle Familien müssen nicht die stabileren und glücklicheren sein.”

Ein kritisches Hinterfragen mahnt die Ethikerin an, wenn es um die Auswahl von Spendern geht. Diese wird im Fall einer Samenbank-Spende anhand der Daten getroffen, die dort hinterlegt sind. So standen Hanna Schiller neben dem Alter, der Körpergröße und der Ethnizität auch Stimmproben und – gegen Aufpreis – sogar Kinderbilder des Samenspenders zur Verfügung.

Darf man den Jungen mit den schönsten Augen oder dem sympathischsten Lächeln wählen und darauf hoffen, dass sich diese Merkmale genetisch durchsetzen? Ein Versuch, das Wunschkind nach Katalog zu bekommen? Schlögl-Flierl weiß, dass viele Verantwortliche diese gängige Praxis kritisch sehen. Sie sei moralisch durchaus problematisch, auch wenn den Betroffenen oft nicht bewusst sei, warum sie eine bestimmte Wahl treffen. “Letztlich lautet die Frage: Ist das Kind ein Projekt, das nach den Wünschen der Mutter und um ihrer willen gemacht wird oder ist es ein Subjekt, das um seiner selbst willen gewollt wird.”

Spenderkinder haben ein Recht auf Information

Wichtig ist Schlögl-Flierl zudem, dass Spenderkinder das Recht haben, die eigene Abstammung zu erfahren. Im Fall einer Samenbank-Spende ist dies seit 2018 gesetzlich garantiert: Wer glaubt, einen Spender-Vater zu haben, kann ab einem Alter von 16 Jahren Auskunft beim Samenspender-Register einholen.

Umgekehrt erhält der potenzielle Erzeuger keine Aussagen darüber, ob sein Sperma zu einer Mutterschaft geführt hat; er gilt nicht als Vater, und ihm gegenüber können keine Unterhaltsansprüche geltend gemacht werden. Anders bei einer privaten Spende, die unter anderem deshalb Unsicherheiten birgt, weil die Vereinbarungen der Beteiligten für den Nachwuchs juristisch nicht bindend sind.

Hanna Schiller hat mit ihrem inzwischen achtjährigen Sohn von Anfang an offen über die Umstände seiner Zeugung gesprochen. “So ist das für ihn zur Selbstverständlichkeit geworden,” sagt sie.

Eine ganze Palette an Emotionen bei Spenderkindern

Schlögl-Flierl mahnt, dass viele Spenderkinder durchaus Probleme mit dem Wissen um ihre Herkunft haben – und eine ganze Palette unterschiedlichster Emotionen durchleben. “Die Gefühle reichen von großer Freude, ein absolutes Wunschkind zu sein, bis hin zu vollkommener Verunsicherung”, so die Expertin. Schließlich handle es sich bei Kinderwunschbehandlungen um eine “Erfüllungsmedizin”, bei der die Nachfrage den Markt bestimmt und auch finanzielle Aspekte eine Rolle spielen.

Eine anteilige Übernahme der Kosten – die bei mehreren Inseminationsversuchen mit denen eines Kleinwagens vergleichbar sind – seitens der Krankenkassen ist nur bei verheirateten Paaren vorgesehen. Solomütter empfänden dies mitunter als diskriminierend, sagt Schlögl-Flierl.

Solomütter klagen über ungerechte Behandlung

Erklärbar sei die Ungleichbehandlung damit, dass der Gesetzgeber ausschließlich das traditionelle Familienmodell für förderungswürdig hält: “In der Realität wird das Familienbild immer diverser, gesetzgeberisch ist dies noch nicht umgesetzt.” Eine Mehrzahl der Menschen in Deutschland hätte beim Stichwort Familie immer noch die traditionelle Kleinfamilie im Kopf – ein Bild, das indes hinterfragt und aktualisiert werden müsse.

Hanna Schiller und ihr Sohn praktizieren schon heute einen weiter gefassteren, flexiblen Familienbegriff: Die beiden stehen nicht nur in engem Kontakt zu den Großeltern, zu Onkel und Tante des Jungen; mit Hilfe der Spendernummer haben sie sich auch in einer WhatsApp-Gruppe mit seinen Halbgeschwistern vernetzt. Und als in der Schule verlangt wurde, dass jeder seinen Vater zeichnet, einigte sich Schillers Sohn mit der Lehrerin darauf, seinen Opa zu malen.