Die Zahl der antisemitischen Straftaten in Nordrhein-Westfalen ist 2023 auf Rekordhöhe gestiegen. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr 547 Delikte registriert, wie die Antisemitismusbeauftragte der Landesregierung, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, am Mittwoch in Düsseldorf berichtete. Das waren 65 Prozent mehr als 2022 und durchschnittlich zehn Straftaten pro Woche.
Der mit 316 Fällen größte Teil der antisemitischen Straftaten 2023 wurde nach dem 7. Oktober, dem Tag des Terrorangriffs der Hamas auf Israel, begangen. „Der 7. Oktober fand nicht nur knapp 3.000 Kilometer weit entfernt statt, sondern hatte auch erhebliche Auswirkungen hier in NRW“, machte die Antisemitismusbeauftragte deutlich. Zu den offiziellen Zahlen kämen noch hunderte antisemitischer Vorfälle unterhalb der Strafbarkeitsgrenze hinzu.
„Jüdisches Leben muss als selbstverständlicher Teil in der Mitte unserer Gesellschaft stattfinden können. Hier sind wir alle gefragt, Politik, Zivilgesellschaft, jede und jeder einzelne“, betonte Leutheusser-Schnarrenberger. Jedoch werde es auch in NRW für Jüdinnen und Juden immer schwieriger, einen Weg zwischen religiöser Sichtbarkeit und Sicherheit zu finden. Antisemitische Vorurteile seien inzwischen anschlussfähig bis in die Mitte der Gesellschaft. Gerade das mache den Antisemitismus so gefährlich.
Vor diesem Hintergrund mahnte die Antisemitismusbeauftragte mehr Engagement bei der Bildungsarbeit an. „Es ist wichtig, dass die Behandlung des Nahost-Konflikts verstärkt Platz in den Lehrplänen aller Schulformen erhält.“ Dazu müssten die Lehrkräfte besser befähigt werden, dies zu vermitteln – nicht zuletzt auch angesichts von Schulklassen mit zum Teil über 50 Prozent Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund.
Auch an den Universitäten forderte Leutheusser-Schnarrenberger mehr Einsatz, damit „antisemitische Narrative“ weder im Namen der Wissenschaft noch der Meinungsfreiheit gesellschaftsfähig werden könnten: „Was wir momentan an Universitäten in Amerika, aber auch in Berlin oder andernorts sehen, ist, dass jüdische Studierende Universitäten mehr und mehr als unsicheren Raum wahrnehmen. Hier sind es insbesondere linksextreme antikolonialistische Narrative, welche die Debatte anheizen. Das trifft leider auch auf NRW zu.“
Eine besondere Herausforderung sieht die Antisemitismusbeauftragte auch beim Umgang mit sozialen Medien, die vor allem für Jugendliche zur wichtigsten Nachrichtenquelle geworden seien. Dort würden zu oft einseitige und falsche Informationen verbreitet und unkritisch aufgenommen. Hier sei der Ausbau von Medienkompetenz gefordert, die in den letzten Jahren nicht genug in den Fokus genommen worden sei.
„Noch immer gilt: antisemitismuskritische Bildungsarbeit ist das effektivste Mittel gegen Hass und Hetze gegen Jüdinnen und Juden“, betonte Leutheusser-Schnarrenberger: „Nie war es so notwendig, dem Judenhass in allen Teilen unserer Gesellschaft energisch und mit Stärke entgegen zu treten.“