Hier im Wald ist es im November richtig schön herbstlich: Feuchte Blätter auf dem Waldboden, so ein angenehm, torfig, harziger Geruch liegt in der Luft. Ideale Bedingungen für Leben aller Art. „Dieses gesamte Ökosystem Wald ist natürlich ein sehr lebendiger Ort“, sagt Julius von Bethmann-Hollweg, der hier den Begräbniswald „Waldfrieden“ betreibt. Mit Ökosystem meint er vor allem: „Wenn man die Artenvielfalt ganzheitlich betrachtet und nicht nur die Vierbeiner, die wir im täglichen Leben sehen, sondern eben auch alles andere mit einschließt, was lebt.“
Dazu gehören in einem Wald natürlich die vielen verschiedenen einheimischen Vogelarten. „Daneben Rehe, die hier durchziehen und natürlich auch Hasen gibt es hier. Alles, was wir an Mäusen, Käfern und Insekten haben, ist natürlich in einem Wald vielfach vertreten.“ Diese Artenvielfalt können Spaziergänger im Jersbeker Forst beobachten, genauso wie die Veränderung durch die Jahreszeiten.
Es gibt aber auch Lebewesen, die Menschen nicht so schnell zu Gesicht bekommen. „Die größte Vielfalt, denke ich, lebt im Boden“, erklärt der Forstexperte. „Das sind die bodenzersetzenden Mikroorganismen. Die sind hier natürlich auch sehr aktiv und sorgen jedes Jahr dafür, dass der ganze Laubanfall dann mittelfristig auch in Humus umgesetzt wird und Nährstoffe wieder in den Boden gelangen.“
Waldfrieden Jersbek: Der Wald hat eine besondere Bedeutung
Dieser Kreislauf funktioniert und in ihn kehren die Verstorbenen, die hier beigesetzt werden, zurück. „Wir versuchen, den Spagat hinzukriegen, dass wir einerseits den Menschen gerecht werden und andererseits den Eingriff in die Natur so minimal wie möglich gestalten“, beschreibt von Bethmann-Hollweg die Idee hinter dem Begräbniswald. „Deshalb haben wir maximal drei Plaketten an einem Baum.“
Die zirka zehn Mal fünfzehn Zentimeter großen Metallplaketten sind an den Bäumen mitten im Wald angebracht. Immer dort, wo Menschen an einem Baum beerdigt wurden. Wer sich hier bestatten lässt, weiß genau aus welchem Grund: „Es gibt viele Menschen, die mit ihrem Hund oder auch so zehn Jahre hier in dem Wald spazieren gegangen sind, und jetzt hier liegen.“ Für sie sei der Wald ein lebendiger Bezugspunkt gewesen. „Er hat in ihrem Leben für etwas gestanden. Für Entspannung, für einen Ort, wo sie zur Ruhe und auf andere Gedanken gekommen sind“, kann der Begräbniswald-Betreiber nachvollziehen. Denn auch für ihn hat der Wald eine besondere Bedeutung. Schon als Kind sei er hier oft unterwegs gewesen.
Die Verstorbenen sind irgendwann Teil der Bäume
Seit 2011 gibt es den Begräbniswald „Waldfrieden“ in Jersbek. Von Bethmann-Hollweg findet das eine schöne Form der Bestattung. „Mich überzeugt sie auch, weil wir auf die Grabpflege verzichten. Es ist ein natürlicher Ort, der sich im Laufe des Jahres auf so vielfältige Art und Weise darstellt.“ Im Frühjahr übersät von Buschwindröschen, die Blätter an den Bäumen sprießen grün. „Im Mai hat man das erste richtig saftige Grün der Buchen und im Sommer ein grünes Blätterdach und die Kühle, wenn es auf den Feldern richtig heiß ist.“
Von Bethmann-Hollweg gefällt der Gedanke, dass der Verstorbene nach dem Tod der Natur übergeben wird, die schon per se ein eigener Lebensraum ist. „Wenn wir hier wandeln, dann glaube ich, dass die Seelen irgendwo sind. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass die Seelen an so einem Ort sehr gut aufsteigen können und sich ihren Weg suchen.“ Denn was wir nach dem Tod beisetzen, ist die menschliche, irdische Hülle. „Mit anderen Worten heißt das, dass die Menschen hier durch ihre Hülle irgendwann Teil der Bäume sind.“ Der Gedanke, dass die dann von Vögeln bevölkert werden und die Seelen in den Kronen der Bäume fortbestehen, macht ihn zufrieden.
Mit der Natur eins sein, auch über den Tod hinaus, sei für viele eine schöne Vorstellung: „Für diejenigen, die dafür ein starkes Bewusstsein haben, finde ich das eine sehr schöne Möglichkeit, auf diese Weise weiterzuleben. Wenn man so will: Ich gehe wieder zurück in die Natur und meine Seele sucht sich ihren Weg“, sinniert von Bethmann-Hollweg. Leben bei den Toten bedeutet im Begräbniswald vor allem, dass Leben und Tod einen gemeinsamen Kreislauf bilden.