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Nochmal umdrehen bitte

Der Buß- und Bettag erinnert daran, dass das Leben im Licht des Evangeliums eigentlich eine ganz andere Richtung nehmen sollte – leider vergessen wir das allzu oft

Pavel Klimenko - Fotolia

„Da unser Herr und Meister Jesus Christus spricht: ‚Tut Buße‘ etc., hat er gewollt, daß das ganze Leben der Gläubigen Buße sein soll.“ So schrieb Martin Luther in der ersten seiner 95. Thesen. Und wir? Wir haben genau einen Buß- und Bettag im Jahr. Klingt ziemlich widersprüchlich, oder?
Tatsächlich lässt Buße im Sinne des Evangeliums sich nicht auf das Ritual eines Tages beschränken. Buße ist eine Haltung, die das ganze Fühlen, Denken und Handeln durchzieht. „Umkehr“ heißt eine andere Übersetzungsmöglichkeit der Worte metanoia auf Griechisch und schub auf Hebräisch. Schon im Alten Testament beinhaltet das eine radikale Änderung des gesamten Lebens: Weg von den falschen, zerstörerischen Taten und Einstellungen, hin zu Gott. Wenn diese Kehrtwende vollzogen ist, ist das Verhältnis zwischen Gott und Menschen geheilt. Dann hat Gott keinen Grund mehr, zornig zu sein und sich abzuwenden; vielmehr herrschen Gerechtigkeit und Friede – zwischen Gott und zwischen den Menschen.
Jesus spitzt diese Botschaft zu: Gott ist es, der von sich aus mit ausgestreckter Hand den Menschen entgegengeht, um das Unheil, das sie angerichtet haben, zu heilen. Buße, Umkehr heißt dann: Gottes Hand ergreifen und sich heilen lassen – und daraus die Konsequenzen ziehen: Nächstenliebe, Barmherzigkeit, Vergebung im Umgang mit anderen Menschen und Verantwortung für diese Welt.
Nun ist das aber so eine Sache mit der Umkehr. Diese grundlegende Richtungsänderung hält nie besonders lange vor. Irgendwie drängt es uns doch wieder zurück ins eingefahrene Gleis. Also hat der Buß- und Bettag doch seine Berechtigung: Er soll uns wenigstens einmal im Jahr daran erinnern, wohin wir eigentlich unterwegs sind, und welche Haltung dabei unser Leben prägen sollte.
Und wie kommt das Gebet ins Spiel? Zum einen ist da die Geschichte: Im Römischen Reich wurden Buß-Tage angeordnet, um die Götter in Notsituationen mit Gebeten und Opfern gnädig zu stimmen. Die frühe Kirche knüpfte an diese Tradition einzelner Bußtage an, an denen das Bekenntnis der Schuld und die Bitte um Vergebung feste Bestandteile der Liturgie waren, und auch die protestantischen Fürstentümer übernahmen sie nach der Reformation in besonderen Notlagen, später als Institution.
Zum anderen wird das Gebet dadurch wichtig, dass Beterinnen und Beter einen anderen Blick bekommen: Wer betet, wendet sich an Gott – und der hat eine Perspektive auf unser Leben und auf unsere Welt, die wir nie einnehmen können. Gott sieht die Dinge so, wie sie wirklich sind, ohne unsere Beschönigungen und Ausflüchte: die Zusammenhänge von Schuld, von Ungerechtigkeit und Zerstörung. Vor ihm können wir nicht anders, als zuzugeben: Ja, es ist meine Schuld. Ich habe Unheil angerichtet, Bande zwischen Menschen zerstört, mich selbst und andere verletzt. Ich habe mir einfach genommen, was ich haben wollte, ohne an die Folgen zu denken – oder daran zu denken, mich aber nicht darum zu kümmern.
Wer sich dieser Perspektive im Gebet stellt, der sieht: Was ich tue, bewirkt häufig das Gegenteil von Heil. Aber ich bin nicht gezwungen, diesen Weg weiterzugehen. Ich kann umkehren und es mit Gottes Hilfe anders versuchen. Nicht nur einmal im Jahr, sondern immer wieder, wenn es nötig ist. Ein Anstoß dazu kann die Beichte im Buß- und Bettagsgottesdienst sein. Das gemeinsame laute Bekennen unserer Schuld und die Bitte um Vergebung machen es ganz deutlich:  Letztlich sind nicht wir es, die die Richtung ändern. Es ist Gott, der uns entgegenkommt und diese Umkehr möglich macht.