Innerhalb von zehn Jahren ist die Zahl der Beschäftigungsverhältnisse im Niedriglohnsektor in Deutschland deutlich gesunken. Das geht auf die Einführung des Mindestlohns zurück. Nachholbedarf besteht trotzdem.
Immer weniger Menschen in Deutschland arbeiten im Niedriglohnsektor. In den vergangenen Jahren sank deren Zahl um rund 1,3 Millionen, wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden am Donnerstag mitteilte. Demnach fanden sich im April 2024 noch 6,3 Millionen Beschäftigungsverhältnisse, bei denen der Bruttostundenverdienst weniger als 13,79 Euro betrug und somit unterhalb der Niedriglohnschwelle lag. Im April 2014 waren es noch 7,6 Millionen.
Verringert habe sich auch der Verdienstabstand zwischen Gering- und Besserverdienenden. Besserverdienende – die oberen 10 Prozent der Lohnskala – erhielten im April 2024 das dreifache des Bruttostundenverdienstes von Geringverdienenden, den unteren 10 Prozent der Lohnskala. Im April 2014 war es noch das 3,48-fache. Ausgedrückt in Stundenlohn: Wer einen Bruttostundenverdienst von mindestens 39,05 Euro hat, ist ein Besserverdiener. Geringverdiener erhalten hingegen höchstens 13,00 Euro.
Die positive Bilanz geht vor allem auf die Einführung des Mindestlohns 2015 sowie dessen Erhöhung auf 12 Euro die Stunde im Jahr 2022 zurück, wie es hieß. Im europäischen Vergleich hinke Deutschland jedoch hinterher, erklärte Malte Lübker von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. “Die nordischen Länder, aber auch Frankreich und Italien machen das besser.”
Die Mindestlohnkommission sollte eine deutlich Erhöhung des Mindestlohns beschließen, hin zu dem europäischen Ziel, dass er 60 Prozent des jeweiligen nationalen Medianlohns erreicht, so der Sozialforscher. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes liegt dieser in Deutschland derzeit bei 20,68 Euro in der Stunde, schließt aber sowohl Voll- als auch Teilzeitbeschäftigte mit ein. Für die europäische Berechnung sollten allerdings nur Vollzeitbeschäftigte berücksichtigt werden, betonte Lübker.
Aus Sicht des Forschers kann dies auch einen positiven Effekt auf andere Branchen der Niedriglohnbeschäftigung haben, in denen nur wenig mehr als der Mindestlohn gezahlt wird. Generell brauche es dort eine hohe Tarifbindung. “Im Gastgewerbe arbeitet hierzulande jede und jeder zweite Beschäftigte zu einem Niedriglohn, im Handel ist es ein Viertel. Das sind genau die Branchen, in denen sich die Arbeitgeber aus der Tarifbindung verabschiedet haben – und der Wettbewerb dann im Zweifelsfall auch auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird.”
Deutliche Unterschiede zeigen sich der Statistik zufolge im Ost-West-Vergleich. Im Westen, wo Besserverdienende den 3,08-fachen Bruttostundenverdienst erhielten, blieb das Lohngefälle größer. In den östlichen Bundesländern erzielten Besserverdienende im April 2024 lediglich den 2,50-fachen Verdienst der Geringverdiener. Zehn Jahre zuvor hatte der Abstand dort noch bei 3,31 gelegen.
Dort hat sich der Anteil der Niedriglohnjobs im Zehnjahresvergleich fast halbiert. Der Anteil sank um 17 Prozentpunkte von 35 auf 18 Prozent, im Westen hingegen nur um 3 Prozentpunkte von 19 auf 16 Prozent.