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Neues Licht auf das Gewohnte

Unscheinbar und doch so wichtig: Pfingsten ist der „kleine Riese“ im Kirchenjahresfestkreis

Von Kristóf Bálint

Spürst Du den sanften Hauch auf deiner Haut, der die Haare dazu bringt aufzustehen und dem Ehre zu entbieten, der sich im Hauch, dem Ruach Adonaj, dem Elia offenbarte?

So stelle ich mir Pfingsten vor, den „kleinen Riesen“ unter den vier großen Festen im Kirchenjahresfestkreis, unscheinbar neben Ostern und Weihnachten, in seiner Wahrnehmung allenfalls Himmelfahrt gleich, kaum bekannt und doch so wichtig.

Während heutzutage fast jede von „Gänsehaut“ spricht, wenn sie einen berührenden Popsong hört, beschreibt es doch sehr schön die Wirkung des Pfingstfestes. Aufstehende Härchen, offene Antennen für die Wirkmächtigkeit, die über alles hinausgeht, was wir ­bisher kannten.

Menschen hören Stimmen, Sprachen und Sausen. Wie ein Feuer verbreitet es sich, angezündet wie Kerzen. Feuer und Flamme für eine Botschaft, die trägt. BeGEISTert sind Angst­hasen wie Tapfere, Menschen mit und ohne Einschränkungen, Glückspilze und Pechvögel, Hoch- und Tiefgläubige.

Sie sprechen gut von den Wirkungen G’TTes und reden sich nichts schön. Das erzeugt Aufsehen, das macht aufmerksam und öffnet die Herzen, „das geht ganz tief“ würde manche*r sagen. Natürlich gibt es auch Kommentare der Umstehenden, die der Besserwisser, Dauernörgler, der Verqueren, die nur aushalten,  was ihnen einleuchtet, die sich, ihr ­Denken und ihre fertigen Antworten nicht infrage stellen (lassen) wollen. 

Doch Pfingsten ist das Fest der Infragestellung des Gewohnten. Wir erleben Phänomene, die wir nicht einordnen können, die unser (bisheriges) Denken übersteigen. Lassen wir es zu und wachsen mit den neuen Einsichten oder sagen wir, dass nicht sein kann, was nicht sein darf?

Pfingsten stellt uns und unsere Gewohnheiten infrage, denn wie sonst sollen wir uns Zungen, „geteilt wie von Feuer“, vorstellen? Auf Gemälden sehen wir Flammen, die die Menschen wie Kerzen wirken lassen. Doch es geht nicht um Aussehen, sondern um Handlung, denn sie „wurden alle erfüllt vom ­Heiligen Geist“.

Die bildhafte Darstellung hilft uns womöglich am meisten, denn da wo Dunkelheit ist, hat ein einzelnes Licht mehr Strahlkraft als uns vorstellbar ist. Wir können das sehr schön in vielen Lebensbeschreibungen wahrnehmen. Nicht nur von Heiligen früherer Tage, sondern auch von Menschen heute. Da beginnt eine Frau den langen Dauerzwist mit ­einer Geste zu be­enden, die niemand von ihr erwartete. Da bewirkt ein einzelner Mann mit ­einem, von Umstehenden viel gescholtenen Kniefall ohne viele Worte und ermöglicht ­einen Neuanfang in Europa.

Es gibt sie diese entflammenden Momente, in denen Menschen aus ihrem Glauben heraus zu Taten fähig werden, die sie sich selbst nicht zugetraut hätten. Das ist ­BeGEISTerung. Das ist das Wirken des ­Heiligen Geistes. Das ist Pfingsten. Verglichen mit dieser Wirkung ist die Bedeutung dieses Festes hierzulande vergleichsweise gering. Zu Unrecht, denn ohne den Heiligen Geist, die Heilige Geistkraft ist weder die Dreieinigkeit vollständig noch G’TT selbst auch nur annäherungsweise beschrieben.

Dieser Geist zieht schon bei Elia an der Höhle im Berg Horeb vorbei (1. Könige 19,9). G’TT lässt sich nicht schauen, er lässt sein Wirken spüren. Wie ein Windhauch, wie eine „Stimme ­verschwebenden Schweigens“ wie Martin Buber es so poetisch ausdrückt.

Deshalb ist Pfingsten so wichtig, dass wir uns IHM ganz öffnen, damit G’TT in uns ­wirken kann. Mit Pfingsten beginnend und über unser ganzes Leben hin. Wenn G’TT in ständiger Nähe ist, wenn uns jeder Windhauch daran erinnert, dann dürfen wir uns fragen: Was drücken wir konkret davon mit unserem Leben aus?

Die Rede von G’TT ist immer nur vorläufig. Doch unsere Taten, unser Denken, Reden und Tun sind ein Spiegelbild seines Wirkens in der Welt und insofern ein Hinweis auf IHN. Das ist kein geringer Anspruch, gegründet in dem Zuspruch G’TTes, bei uns zu sein – alle Tage unseres Lebens. Künden wir also davon, dass wir nie allein sind, durch alles, was uns ausmacht. Der Hauch seiner Nähe wird uns spüren lassen, dass das keine Worte und ­Taten sind, die leer zurückkommen.

Kristóf Bálint ist Generalsuperintendent für den Sprengel Potsdam.