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Neue Präses-Kandidatin: Sexualisierte Gewalt ist größte Herausforderung

Die Evangelische Kirche von Westfalen hat eine Kandidatin für das Präses-Amt benannt: Adelheid Ruck-Schröder. Im Interview spricht sie über ihren persönlichen Glauben – und über Herausforderungen.

Kandidiert für das Präses-Amt in Westfalen: Adelheid Ruck-Schröder
Kandidiert für das Präses-Amt in Westfalen: Adelheid Ruck-SchröderSprengel Hildesheim-Göttingen / Jens Schulze

Frau Dr. Ruck-Schröder, Sie kommen als Kandidatin aus einer anderen Landeskirche, quasi von außen. Wie stellt sich Ihnen die Lage der Evangelischen Kirche von Westfalen dar?
Ruck-Schröder: Was auffällt: Die westfälische Kirche hat große Stärken: Engagierte Menschen, eine beeindruckende Diakonie, starke Frömmigkeits-Traditionen, ökumenische Beziehungen und Bildungsorte. Aber derzeit ist sie finanziell in schweres Fahrwasser geraten. Da stehen große Anstrengungen bevor. Mit der Verpflichtung eines ausgewiesenen Wirtschaftsfachmanns für die Finanzen hat die Landeskirche aber bereits einen wichtigen Schritt unternommen.

Aber lassen Sie mich kurz sagen: Ich tue zwar seit Jahren Dienst in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers, aber die Evangelische Kirche von Westfalen ist mir vertraut. Ich habe einen Teil meines Vikariats in Münster geleistet, meinen Probedienst als Pfarrerin in Havixbeck. Mein Mann ist Ostwestfale, wir haben persönliche Kontakte in die westfälische Kirche.

Wenn Sie die Landessynode zur Präses wählen würde: Welche Herausforderungen sehen Sie auf sich zukommen?
Äußerlich steht wie gesagt die Haushaltssicherung vorn: Sparen, kürzen, konzentrieren, zusammenlegen – aber entscheidend ist die Frage: Was ist der Auftrag der Kirche? Was heißt unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen: Kirche sein? Es ist eine Chance, sich darüber neu zu verständigen, zum Beispiel über flexiblere und offenere Formen von Gemeinde und Kirchenmitgliedschaft. Es geht um zeitgemäße Formen des Christseins.

80 Prozent der Evangelischen sagen, Kirche müsse sich grundlegend ändern …
Richtig, das hat die aktuelle Kirchenmitgliedschafts-Untersuchung der Evangelischen Kirche in Deutschland gezeigt. Es wird dabei auch darum gehen, attraktiv für die junge Generation zu bleiben und nicht nur gesellschaftlich gut etablierte Menschen anzusprechen. Die westfälische Kirche hat Weichen gestellt und etwa das Jugendbeteiligungserprobungsgesetz beschlossen; schweres Wort, gute Sache. Gleiches gilt für die Arbeit mit Interprofessionellen Pastoralteams. Die westfälische Kirche überarbeitet ihre Kirchenordnung. Der Wille zur Veränderung ist da. Aber Gesetze sind‘s nicht allein. Es geht um eine hoffnungsvolle Haltung.

Stichwort: sexualisierte Gewalt.
Das ist gegenwärtig vielleicht die größte Herausforderung. Auch in der Evangelischen Kirche ist großes Unrecht geschehen. Die Perspektive der Betroffenen ist sichtbar geworden. Das ist schwer auszuhalten. Mit dem Leid der Betroffenen und ihrer Enttäuschung ist Vertrauen zerbrochen. Das betrifft uns alle. Vertrauen ist die Haupt-Ressource der Kirche. Wie kann es wieder aufgebaut werden? Prävention, Intervention und Aufarbeitung sind bleibende Aufgaben. Nur gemeinsam mit Betroffenen und in Zusammenarbeit aller Landeskirchen werden wir vorankommen.

Was ist aus Ihrer Sicht ganz grundsätzlich die Aufgabe der Kirche?
Die Kommunikation des Evangeliums. Was bedeutet es als Christ zu leben – in unserer Gesellschaft? Menschen unterstützen einander. Sie feiern miteinander, auch und gerade Gottesdienst. Diakonie und Kirche können das gemeinsam zeigen. Jesus von Nazareth hat uns den Grundimpuls dafür gegeben. Was heißt das heute? Um diese Frage geht es. Kirche kann Menschen dabei befähigen, eine Sprache für ihren Glauben zu finden und sie fördern, ihr Leben als Christen zu gestalten. Das geht nicht von oben herab. Ganz entscheidend dabei wird es sein, den Kontakt zur jungen Generation zu stärken, und zwar über die Grenzen von gesellschaftlichen Milieus hinweg.

Welche Rolle kann bei all dem eine Präses spielen?
Das Präses-Amt in Westfalen konzentriert außergewöhnlich viele Zuständigkeiten auf sich: Leitung der Landessynode. Leitung des Landeskirchenamts, also der Verwaltung. Vorsitz der Kirchenleitung. Diese Machtfülle ist nicht zeitgemäß und nicht sachgemäß. Dazu kommen Seelsorge und Predigtauftrag sowie Repräsentanz der Landeskirche nach außen. Diese Machtfülle ist zu viel. Mindestens die Leitung von Landessynode und Landeskirchenamt sollte künftig in verschiedene Hände gegeben werden. Das ist der Plan, unabhängig davon, wer Präses wird.

Falls Sie gewählt werden: Was wäre Ihr Beitrag dabei?
Leitung ist notwendig. Ich verstehe sie als Team-Aufgabe, in Gemeinschaft. Mein Verständnis von Leitung ist funktional, also von den Aufgaben, nicht vom Status her. Leitung bedeutet Ermöglichung. Entscheidende Aufgabe ist für mich die Motivation aller Mitarbeitenden, Ehrenamtlicher und Hauptamtlicher. Wir haben jetzt schon zu wenig Theologinnen und Theologen. Zentral ist das Miteinander der kirchlichen Berufe. Aber auch Ehrenamtliche brauchen Wertschätzung. Und die Möglichkeit, sich fortzubilden und weiterzuentwickeln.

Wie würden Sie Ihren persönlichen Glauben beschreiben?
Es ist ein Gefühl des Angenommenseins. Gott hat uns ins Leben gerufen. Ich empfinde Dankbarkeit. Sinn. Und eine ganz starke Verbundenheit und Zugehörigkeit: zu anderen Christinnen und Christen, weltweit. Aber auch zu unseren Wurzeln im Judentum. Ich habe das starke Bewusstsein: Ich bin Teil dieses Ganzen und kann an meiner Stelle meinen Teil dazu beitragen.