Der Weihnachtsmann war verzweifelt: Wie sollte er im Schneesturm bloß die Weihnachtsgeschenke aus dem Himmel rechtzeitig zu den Erdenkindern bringen? Er brauchte einen Nebelscheinwerfer für seinen Schlitten, der von neun Rentieren gezogen wird. Dem Rauschebart kam eine Idee: War da nicht der schwächliche Rudolph, der wegen seiner roten Nase von den anderen Rentieren gehänselt wurde? Könnte dieser nicht den Geschenke-Express mit seiner leuchtenden Nase anführen?
1939 erfand der US-amerikanische Werbetexter Robert Lewis May (1905-1976) die Geschichte von „Rudolph, the Red-Nosed Reindeer“ (Rudolph, das Rentier mit der roten Nase). Zehn Jahre später – vor 75 Jahren – entstand das gleichnamige Lied. Heute ist es der zweiterfolgreichste Weihnachtssong überhaupt, hinter Bing Crosbys „White Christmas“. 1998 hatte der Zeichentrickfilm „Rudolph mit der roten Nase“ Premiere, in dem Sängerin Nina Hagen die deutsche Stimme der bösen Eisprinzessin Stormella ist.
Rührende Story über den Außenseiter Rudolph
Rudolph-Erfinder May war Angestellter bei der Kaufhauskette Montgomery Ward aus Chicago. 1939 erteilte sie ihm den Auftrag, zur Weihnachtszeit ein Malbuch für Kinder zu erstellen. Seine Frau war zu jener Zeit schwer an Krebs erkrankt, der Familie ging es finanziell nicht gut. Wohl auch um seine Tochter Barbara zu trösten, erfand May die rührende Story über den Außenseiter Rudolph, den der Weihnachtsmann zum Chef seines Rentier-Gespanns befördert.
Geschichten wie diese umspielten die großen Themen des Lebens: „Liebe, Frieden, Sinn“, sagt der Münchner evangelische Theologe, Journalist und Autor Matthias Morgenroth. Und sie seien „ein Herzöffner“ auf dem Weg zur weihnachtlichen Botschaft.
„Rudolph, the Red-Nosed Reindeer“ ist die weihnachtliche Variante der Geschichte vom hässlichen Entlein, das sich schließlich in einen stolzen Schwan verwandelt. Dick ist der Zuckerguss aufgetragen: Rudolphs Nase leuchtet manchmal, wenn er sich aufregt. Weil er anders ist als andere, muss er viel Spott ertragen. Doch er wird zum Helden, schließlich darf er den Schlitten des Weihnachtsmannes ziehen. Rudolph beweist: Auch wenn man kleiner oder schwächer ist, kann man es schaffen. Und es ist absolut okay, anders zu sein. Das Malbuch wurde ein riesiger Erfolg, bis 1946 verteilte die Kaufhauskette mehr als sechs Millionen Exemplare an Weihnachtseinkäufer.
Erst 1947 bekam May von seinem Arbeitgeber das Urheberrecht für die kitschige Mutmacher-Story übertragen. Sein Schwager, der Songschreiber Johnny Marks, brachte sie in eine Liedform. Im Blick hatte Marks wohl auch den Riesenerfolg des Schnulzensängers Bing Crosby. Dieser hatte 1942 mit seiner Version von „White Christmas“ den bis heute größten Weihnachtshit aller Zeiten gelandet. Marks bot sein eingängiges Lied im Jingle-Bells-Takt dem Entertainer Crosby sogar an. Der lehnte aber ab, weil er es zu kindisch fand.
Am 1. September 1949 kam der Song „Rudolph, the Red-Nosed Reindeer“ heraus
Daraufhin wandte sich der Komponist an den „singenden Cowboy“ Gene Autry (1907-1998). Dessen Ehefrau überredete ihn zur Aufnahme von „Rudolph, the Red-Nosed Reindeer“. Mit Blick auf das Weihnachtsgeschäft spielte der Country- und Western-Sänger den etwas mehr als dreiminütigen Titel im Juni 1949 mit einem Chor und Orchester ein. Columbia Records brachte die Platte am 1. September 1949 auf den Markt.
Bereits am 3. Dezember waren mehr als zwei Millionen Singles verkauft, und Rudolph erklomm im Januar 1950 den ersten Platz in der US-Hitparade. Mehr als 30 Millionen Mal verkaufte sich Autrys Aufnahme.
Robert May kündigte 1951 seinen Job bei der Kaufhauskette und machte mit dem Lizenz-Verkauf seiner Rudolph-Figur noch einige Jahre lang gutes Geld. Als das Interesse an ihr erlahmte, kehrte er bis zu seinem Ruhestand zu seiner alten Firma zurück.
150 Millionen Kopien von Rudolph
Das Lied von Rudolph wurde von zahlreichen Interpreten neu aufgenommen, mindestens 150 Millionen Kopien wurden insgesamt abgesetzt. Bereits 1950 hängte sich Bing Crosby mit einer eigenen Version an den Erfolg Autrys an. Auch Dean Martin (1959), Ella Fitzgerald (1960) und Helene Fischer mit dem Royal Philharmonic Orchestra (2015) nahmen das Rudolph-Lied auf.
Rudolphs Geschichte spricht auch heute noch viele Menschen an: Kein Mensch und kein Tier ist nur ein kleines Licht, alle sind liebenswert. Das erkennen schließlich auch die Rentiere Dasher, Dancer, Prancer, Vixen, Comet, Cupid sowie Donner und Blitzen: „Rudolph, du gehst in die Geschichte ein.“