Kantor in großer Tradition
Mit zehn kam er zum Chor, geleitet hat er ihn fast 23 Jahre lang. Er hinterlässt ein Vermächtnis – der frühere Leipziger Thomaskantor und Ausnahmemusiker Georg Christoph Biller ist am 27. Januar im Alter von 66 Jahren gestorben.
Von Thomas Bickelhaupt (epd)
Sein Name ist untrennbar verbunden mit der jüngsten Leipziger Musikgeschichte: Über Jahrzehnte hat Georg Christoph Biller mit dem Thomanerchor die älteste Kulturinstitution der Stadt maßgeblich geprägt. Die Nachricht vom Tod des früheren Thomaskantors hat weit über die Kirchenmusikerszene hinaus Betroffenheit und Anteilnahme ausgelöst.
Ein Ausnahmemusiker
Die Stadt Leipzig würdigte Georg Christoph Biller, der am 27. Januar im Alter von 66 Jahren gestorben war, als „Ausnahmemusiker“, der den Thomanerchor „erfolgreich aus der Nachwendezeit ins neue Jahrtausend geführt“ habe. Von 1992 bis 2015 war Biller der 16. Amtsnachfolger des Barockkomponisten Johann Sebastian Bach (1685–1750).
Dessen Werk fühlte sich Biller in besonderer Weise verpflichtet. Doch für ihn gehörten zur großen Tradition des Chores die gregorianischen Anfänge der geistlichen Chormusik ebenso wie Chorwerke von zeitgenössischen Komponisten. Dieses Spannungsfeld konnte er in besonderer Weise zum 800. Gründungsjubiläum des Chores im Jahr 2012 ausgestalten.
Einst war Biller selbst unter Thomanern groß geworden. Als er im September 1965 mit knapp zehn Jahren aus dem wohlbehüteten Pfarrhaus von Nebra an der Unstrut in die Leipziger Chorgemeinschaft kam, sah er sich zunächst am Ziel seiner Wünsche. Doch von Anfang an quälte ihn starkes Heimweh. Dagegen habe damals lediglich die „Faszination“ des gemeinsamen Singens geholfen, erinnerte er sich sehr viel später.
Bescheidenheit, Disziplin und Qualität
Diese persönliche Erfahrung war für ihn im Alltagsgeschäft mit den Thomanern zweifellos von Vorteil. Gleichwohl forderte er von jedem Einzelnen stets Disziplin und Qualität, wobei er immer auch vor überzogenem Selbstbewusstsein warnte: „Wir machen etwas Besonderes, aber wir sind nichts Besonderes“, lautete sein künstlerisches Credo.
In gewisser Weise war von dieser Haltung auch sein künstlerischer Werdegang geprägt, vom Studium des Orchesterdirigierens bei Kurt Masur (1927–2015) über vielfältige Konzerterfahrungen als gefragter Gesangssolist bis zur Leitung des Leipziger Gewandhauschores.
Sein Weggang kam unerwartet
Den modernen Bildungscampus, das „forum thomanum“, brachte er gegen vielfältige Widerstände in der Stadt letztlich erfolgreich auf den Weg. Als Biller dann Anfang 2015 plötzlich sein Amt niederlegte, war die Überraschung groß. Doch seine gesundheitliche Situation ließ ihm keine andere Wahl. Ausschlaggebend waren wiederholte Depressionen und eine davon unabhängige neurologische Erkrankung mit der Störungen des Gleichgewichts und der Sprache einhergingen.
Die Jahre seit seinem Rücktritt erlebte er nach eigenem Bekunden „als Mischung aus Dankbarkeit und Gelassenheit“. Die Arbeit mit den Thomanern habe viel Einsatz und „mitunter auch große Anstrengungen“ bedeutet, „aber auch immer wieder Erfüllung durch musikalische Glücksmomente“.
Die Trauerfeier für Georg Christoph Biller am 10. Februar 2022 um 12 Uhr in der Thomaskirche Leipzig wird nach außen übertragen. Ein Streaming der Trauerfeier erfolgt nicht. Die Stadt Leipzig hat ein Kondolenzbuch in der Thomaskirche ausgelegt.
Der Filmtipp:
Georg Christoph Biller – Vom Knabensopran zum Thomaskantor. Film von Marina Farschid. Noch bis 11. Februar in der ARD Mediathek.
Der Thomanerchor
Der Leipziger Thomanerchor wurde 1212 unter Kaiser Otto IV. zusammen mit der Thomasschule in Leipzig gegründet und besteht somit seit weit über 800 Jahren. Im Zuge der Einführung der Reformation in Leipzig gingen Thomasschule und Thomanerchor 1543 in städtische Trägerschaft über. Damit ist der Chor Leipzigs älteste Kultureinrichtung. Der Chor in städtischer Trägerschaft hat seine Heimat an der evangelischen Thomaskirche. Auf Konzertreisen gastieren die jungen Sänger in aller Welt, von Argentinien bis Japan. Regelmäßige Auftritte in den „Motetten“ der Thomaskirche sowie die musikalische Gestaltung der Sonntagsgottesdienste bilden aber das Zentrum der Chorarbeit. Im Dezember 2020 wurde der gebürtige Schweizer Andreas Reize vom Rat der Stadt Leipzig zum Thomaskantor und künstlerischem Leiter des Thomanerchores gewählt und im September 2021 ins Amt eingesetzt. Er ist der 18. Nachfolger von Johann Sebastian Bach. Der 17. war Gotthold Schwarz, gebürtiger Zwickauer Bassbariton und Dirigent und seit 2021 im Ruhestand.
www.thomanerchor.de