Artikel teilen:

Münchner Haus der Kunst zeigt Mitmach-Schau “In anderen Räumen”

Hier muss man die Schuhe ausziehen, darf aber in Kunstwerke hineingehen und Sachen anfassen. Die Ausstellung im Haus der Kunst geht eigene Wege – im wahrsten Sinne des Wortes. Sie zeigt die Geschichte des Environments.

 “Sie machen jetzt eine neue Erfahrung. Fühlen Sie sich wohl. Sie werden zwölf Kunstwerken begegnen. Diese sind alle einzigartig. Sie verlangen unterschiedliche Verhaltensweisen. Treten Sie in die Kunstwerke ein. Je nach Werk können Sie gehen, sitzen, liegen, tanzen, entspannen. Sie dürfen die Werke berühren, aber bitte mit Sorgfalt, sie sind empfindlich. Manche könnten Sie herausfordern, Nehmen Sie sich Zeit. Hören Sie in sich hinein – innen und außen. Teilen Sie Ihre Erfahrungen. Werden Sie zur Katze.”

So ungewöhnlich sind Besucherinnen und Besucher im Haus der Kunst in München wohl noch nie begrüßt worden. Aber die bis 10. März 2024 zu sehende Ausstellung “In anderen Räumen. Environments von Künstlerinnen 1956-1976” will mit Körper und Sinnen erschlossen werden. Und so heißt es: “Schuhe ausziehen”. Denn wenn die Fußsohlen unmittelbar Kontakt mit Teppichen und Holzbrettern bekommen, nimmt der Körper sein Umfeld umso intensiver wahr.

Im ersten Raum steht ein leuchtend rotes Vinylzelt der japanischen Künstlerin Tsuruko Yamazaki. Es hat die Form eines Moskitonetzes, schwebt gut 70 Zentimeter über dem Boden und wartet darauf, dass die Besucher von unten hineinkriechen. Alles darin ist mit roten Lichtern beleuchtet, so dass die Menschen sofort Teil dieses Rots werden und sich – von außen gesehen – in Schatten verwandeln.

Ebenfalls völlig von roten Lichtern, spiegelnden Wänden, Decken und flauschigen Teppichen umgeben ist, wer den “Roten Korridor” der Italiener Lucio Fontana und Nanda Vigo betritt: ein Raum der Entspannung und Kontemplation. Er lädt ein, sich in geschützter und traumhafter Atmosphäre niederzulegen und die Welt zu vergessen.

In dem auf drei Seiten geschlossenen und dunklen Raum der Griechin Laura Grisi wird der Besucher plötzlich von einem starken Luftstrom ergriffen. Hier gilt es einem Naturelement zu trotzen. Die Französin Tania Mouraud wiederum konfrontiert einen mit einem Monolithen aus Edelstahl, der Ultraschallwellen ausstrahlt. Er steht in der Mitte eines auf 45 Grad aufgeheizten Raumes mit gleißenden Scheinwerfern in allen vier Ecken. Eine Klangschleife aus vier Tönen, die sich an ihrem eigenen Echo brechen, mag bei manchem durchaus ein leichtes Angstgefühl entstehen lassen.

Die polnisch-argentinische Künstlerin Lea Lublin hat einen hängenden Wald aus aufblasbaren Zylindern geschaffen, den das Museumspublikum durchwandern kann. Das gleiche gilt für einen ebenfalls aufgeblasenen, 20 Meter langen Plastiktunnel, der betreten werden kann und anregen soll, über die menschliche Fortpflanzung nachzusinnen.

Am eindrucksvollsten wirken die riesigen, siebenteiligen Zeltaufbauten der aus Litauen stammenden Aleksandra Kasuba. Sie füllen den Mittelsaal im Südflügel bis zur Decke aus und leuchten in verschiedenen Farben. Die unterschiedlich großen Farbräume laden ein, den Weg des Menschen von der Geburt bis zum Tod zu durchschreiten. Dabei erklingt Gustav Holsts Musikstück “Die Planeten”.

Am meisten Spaß macht der “Feather Room” der Amerikanerin Judy Chicago. Kniehoch sind dort 150 Kilogramm Hühnerfedern verteilt. Jeder darf hier hineingehen, die Federn herumwirbeln oder sich in die weiche Pracht hineinlegen. Fast glaubt man, die Grenzen lösten sich und der Körper beginne zu schweben.

Diese erlebbaren Räume werden “Environments” genannt. Der englische Begriff für “natürliche Umgebung” hat in der Kunstwelt seit 1949 eine zusätzliche Bedeutung: Er beschreibt dreidimensionale Werke an der Schwelle zwischen Kunst, Architektur und Design. Häufig werden dafür Objekte aus dem Alltagsleben verwendet. Vor allem aber regen sie den Betrachter an, aktiv und damit gleichsam Teil eines Kunstwerks zu werden.

Zur internationalen Kunstwelt gehören Environments seit Langem, die meisten wurden von Männern geschaffen. Diese Gruppenausstellung gibt nun explizit elf Künstlerinnen Raum. Viele Arbeiten wurden rekonstruiert, weil einige wegen ihres experimentellen Charakters zerstört wurden. So schlägt diese spektakuläre Schau eine wichtige Brücke zwischen damals und heute.