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Mono, Buxe, Henkelmann in der Rückschau

Zurück in die 60er Jahre versetzen Exponate aus dem Alltag im Detmolder Freilichtmuseum. Unter dem Titel „Raus aus dem Spießerglück“ werden in der Ausstellungsscheune Objekte und Geschichten von Menschen aus der Region präsentiert

Karl-Heinz Krull

In Detmold wird das alltägliche Familienleben der  60er Jahre lebendig: etwa bei der Lederhose, „Buxe“ genannt, mit der die Kinder zum Spielen an die frische Luft geschickt wurden. Zu sehen sind auch Objekte wie ein Hirschgeweih an der Wand, ein Resopaltisch oder „Henkelmänner“ – in denen die Frauen den im Werk arbeitenden Vätern ihren warmen Eintopf brachten. Die Schau „Raus aus dem Spießerglück“ im Detmolder Freilichtmuseum richtet den Blick vor allem auf den Alltag in der Provinz.
In ländlichen Gegenden hätten sich die Veränderungen nur langsam vollzogen, sagt LWL-Kulturdezernentin Barbara Rüschoff-Parzinger. Gerade die in den Medien präsenten Großereignisse, wie etwa die Studentenunruhen nach dem Tod Benno Ohnesorgs, hätten den Alltag der Menschen und ihre Erfahrungen viel weniger bestimmt, als man in der Rückschau vielleicht meinen könnte. Die Schau greife deshalb Geschichten und Objekte aus der Bevölkerung auf, die diese Widersprüche verdeutlichten und in denen sich viele Besucher wiedererkennen würden.
 So stehen für das Ritual des sonntäglichen Familienausflugs zwei Flaschen der damals beliebten Brause „Sinalco“ und fünf Gläser bereit. Die fünf Kinder bekamen zwei Flaschen, die sie sich teilen mussten, berichtet dazu die im Jahr 1957 geborenen Lena K. Dabei sei es weniger um Sparsamkeit gegangen. „Vielmehr sollte uns Kindern dadurch vorgelebt werden, sparsam zu leben und unnützen Konsum zu vermeiden.“
Die Geschichte im Kleinen erklärt auch die Geschichte im Großen, ist Kuratorin Janina Raub überzeugt. In der Ausstellungsscheune im Paderborner Dorf werden auch Themen wie Urlaubsreisen, Kino-Erlebnisse mit Winnetou und Old Shatterhand, aber auch Migration thematisiert. So beschreibt der 1949 geborene Halit G., wie er 1963 zusammen mit anderen Jugendlichen aus Istanbul nach Deutschland kam, um in Dortmund eine Ausbildung zum Bergingenieur zu absolvieren. Ihr Vorbild in dieser Zeit sei die Schlagersängerin Vicky Leandros gewesen, erinnert er sich: „Sie war aus Griechenland, ähnlich alt wie wir und hatte es hier in Deutschland geschafft.“
Die Schau, die bis zum 31. Oktober zu sehen ist, soll auch unter den Besuchern Gespräch und Austausch in Gang bringen. Museumsleiter Jan Carstensen ist zuversichtlich, dass Besucher über die Objekte angeregt werden, ihre Erinnerungen zu erzählen. „Wir geben Denkanstöße, über das Vergangene nachzudenken, und dabei einen anderen Blick auf das Heute zu bekommen.“
An 16 Stationen, die über das Museumsgelände verteilt sind, haben Besucher die Gelegenheit, typische Alltagsgegenstände der 60er Jahre zu sehen. Das Besondere an der Schau sei, dass es sich bei den gezeigten Objekten um Leihgaben von Menschen aus der Region handele, erklärt der Museumsleiter. Über 70 Menschen seien einem Aufruf des Museums gefolgt.
Die Gleichzeitigkeit von frischem Wind und Beharrungsvermögen wird zum Beispiel im Ausstellungsteil über Musik deutlich: Auf der einen Seite ein Schallplattenspieler mit einer zu der Zeit beliebten Schlager-Single „Mit 17 fängt das Leben erst an“. Daneben ist eine E-Gitarre der britischen Popgruppe „Kinks“ zu sehen. Dazu beschreibt Klaus S., Jahrgang 1952, wie er im Oktober 1965 gegen das Verbot der Eltern zum Konzert der Band in seiner Heimatstadt Lüdenscheid ausbüchste: „Die Woche Hausarrest nahm ich gerne in Kauf.“
Dass auch große internationale Ereignisse in die Provinz ausstrahlten, zeigt eine Vitrine mit einer Postsendung aus Washington. Von der Ermordung John F. Kennedys im Jahr 1963 hatte sie erfahren, als sie mit Freunden gerade aus einer Kinovorstellung kam, erinnert sich Ursula G., Jahrgang 1948, aus Sennestadt. Sie sei so bewegt gewesen, dass sie etwas habe unternehmen müssen. Sie schrieb einen Beileidsbrief. Irgendwann bekam sie eine Antwortkarte: Mrs. Kennedy schätze sehr die Sympathie und sei sehr dankbar für die Anteilnahme. Der Briefumschlag war handschriftlich adressiert, Absenderin war Jackie Kennedy.

Öffnungszeiten: dienstags bis sonntags von 9 bis 18 Uhr. Internet: www.freilichtmuseum-detmold.de.