Sie scheinen ein kirchliches Erfolgsmodell zu sein, die „Exerzitien im Alltag“. Sie gehen zurück auf Ignatius von Loyola (1491-1556), den Gründer des Jesuitenordens. Der war als ehrgeiziger Ritter und Soldat nach einer schweren Kriegsverletzung monatelang ans Krankenbett gefesselt. Nachdem er alle vorhandenen Ritterromane verschlungen hatte, las er aus Langeweile das „Leben Jesu“. Diese Lektüre löste in ihm einen geistlichen Wandlungsprozess aus.
Exerzitien gibt es in vielen Varianten
Später wurde die Betrachtung biblischer Texte zu seiner wesentlichen Methode, anderen Menschen die Person Jesu und ein an ihm orientiertes Leben nahezubringen. Das Buch, das daraus entstand, sind die „Geistlichen Übungen“, auch einfach „Exerzitien“ genannt. Die Spiritualität des Ignatius und seines Ordens ist geprägt von dem Grundsatz: „Gott suchen und finden in allen Dingen“.
Dieser nüchterne Satz gibt auch die Zielrichtung der Exerzitien an. Es geht darum, dass jeder für sich herausfindet, wie er seinen Alltag mit allem, was dazugehört, von der persönlichen Begegnung mit Jesus Christus bestimmen lässt. In den 1980er Jahren haben sich die verschiedensten Angebote von „Exerzitien im Alltag“ entwickelt, die mittlerweile weltweit in vielen Varianten besonders in der Advents- und Passionszeit stattfinden.
Viele Menschen sind auf der Suche nach Sinn und Orientierung in einer Welt, die mit einer unüberschaubaren Fülle an Angeboten wirbt. Der weltweit führende Experte für Zeit- und Lebensmanagement, Professor Lothar Seiwert, zeigt in seinen Büchern, wie man für sich einen Weg zum Wesentlichen finden kann.
Ein erster Schritt ist die Entschleunigung. Seiwert nennt aber auch Schwierigkeiten: Das Wesentliche entdeckt man nicht in der Hängematte. Es kostet eine Menge Energie. Am Ende aber zählt nur eines: Wer das Wesentliche für sich gefunden hat, den macht dieser Fund unendlich glücklich. Aus christlicher Perspektive ist genau das der Schatz im eigenen Acker des Lebens, den Exerzitien für jeden, der sich darauf einlässt, bereithalten.
„Alles beginnt mit der Sehnsucht“ – so sagt es Nelly Sachs. Die Sehnsucht nach Sinn, nach Ganzheitlichkeit steht am Anfang des Exerzitienweges. Diese Sehnsucht macht Mut, sich mit dem Einüben vertraut zu machen. Übung bedeutet Aufmerksamkeit, Geduld, Disziplin, experimentieren, hinterfragen. Dieses Üben bezieht sich auf alles, was meinen Alltag ausmacht: Arbeit, Tagesablauf, Freizeit, Kontakte, Umwelt.
Eine grundlegende geistliche Übung ist der Tagesrückblick oder das Gebet der liebenden Aufmerksamkeit. Der Betende soll die Erlebnisse des Tages noch einmal anschauen und nachklingen lassen und so, wie er sie wahrnimmt, vor Gott tragen: dankend, um Vergebung bittend, klagend, vertrauend. Ähnlich lässt sich auch am Morgen eine Vorschau des Tages gestalten. Man muss sich Zeit nehmen zum Besinnen, auch wenn man nicht gerade in Hochform ist. Von Alfred Delp stammt ein kleiner Satz aus der Nazihaft, der vielleicht hilfreich sein kann: „Ich sitze oft da vor dem Herrn und schaue ihn nur fragend an.“ Solches Sitzen in der Stille wird nicht ohne Folgen bleiben.
Eine weitere wichtige Übung soll uns den betenden Umgang mit der Bibel erschließen. Denn die Bibel ist – wie Martin Buber einmal sagte – weniger ein Buch, sondern vielmehr eine Stimme: die Stimme des lebendigen Gottes. Man kann sich von Christus Rat holen, aber auch von ihm herausgefordert werden, wenn einen seine Worte und Taten beunruhigen.