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Missbrauch: Betroffene haben ein Recht auf Aufarbeitung

Christine Bergmann ­war die erste Unabhängige Beauftragte zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung. Heute gehört die frühere Bundesministerin für Familie der Unabhängigen Kommission der Bundesregierung für die Aufarbeitung dieses­ ­Themas an. Unermüdlich setzt sie sich dafür ein, dass von ­Missbrauch Betroffene gehört und erlittenes Unrecht anerkannt wird. Auch gegen Widerstände.

Von Christine Bergmann

„Was ich erlebt habe, sollen andere nicht erleben.“ Viele Betroffene sagen das immer wieder an den Hilfetelefonen, in Gesprächen mit Beratungskräften, in den vertraulichen Anhörungen und öffentlichen Hearings der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch.

Sie sprechen über das Leid, das sie als Kinder und Jugendliche erfahren haben. Sie sprechen über die oft lebenslangen Folgen. Sie schreiben ihre Geschichte auf. Viel Mut, viel Kraft, viel Selbstüberwindung gehören dazu. Es ist ihre Botschaft an eine Gesellschaft, die versagt hat, als sie Hilfe brauchten, an eine Gesellschaft, die nicht gehört, nicht gesehen, nicht gehandelt hat. Und an eine Gesellschaft, in der die Täter geschützt wurden und die Opfer allein gelassen.

Es ist zehn Jahre her, seit das öffentliche Sprechen von Betroffenen eine längst fällige Debatte über sexuellen Missbrauch in Institutionen und in Familien in Gang gebracht hat. Das Ausmaß schockierte die Gesellschaft ebenso wie das jahrzehntelange Verschweigen und Vertuschen der Taten. 

Tausende redeten. Das Ausmaß schockierte

Tausende von ­sexualisierter Gewalt betroffene Männer und Frauen sprachen über das in der Kindheit erfahrene Unrecht und die Folgen bei der telefonischen Anlaufstelle der Unabhängigen Beauftragten oder sie schickten ihre Berichte. 

Der nach dem „Missbrauchsskandal“ eingesetzte „Runde Tisch Sexueller Kindesmissbrauch“ sprach Empfehlungen aus  zur Verbesserung der rechtlichen Situation, von Prävention, Opferschutz und Hilfen. „Die Politik muss das Thema in die Öffentlichkeit tragen und dort halten“, war eine der Forderungen der Betroffenen. 

Die Gesellschaft musste sensibilisiert werden und lernen, dass es überall, wo mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet wird, in den Schulen, den Kirchen, den Sportvereinen und vor allem in den Familien zu Übergriffen, zu sexualisierter Gewalt kommt.  Kinder mussten in Zukunft besser geschützt werden. Die vielen Betroffenen erwarteten, das ihnen angetane Unrecht anzuerkennen und die notwendigen Hilfen und ­Unterstützung bereitzustellen.

Wir sind zehn Jahre weiter. Was haben wir gelernt? Ja, es gibt viel ­Engagement, vor allem im Bereich der Prävention, denken wir an die Schutzkonzepte in den Schulen. Es gibt Vereinbarungen der Verbände mit dem Unabhängigen Beauftragten. Gesetze zum Kinderschutz ­wurden beschlossen, Forschungsaufträge vergeben. Die beiden großen Kirchen haben Leitlinien entwickelt, Ansprechstellen geschaffen. 

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