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Ministerpräsident Schweitzer vor der Wahl: “Haben viel erreicht”

Der rheinland-pfälzische Regierungschef Alexander Schweitzer spricht wenige Monat vor der Landtagswahl über Krieg, Kirche und Klima – und über seine Söhne, die vom neuen Wehrdienst betroffen sind.

In knapp 100 Tagen wird in Rheinland-Pfalz ein neuer Landtag gewählt. Zum ersten Mal tritt Amtsinhaber Alexander Schweitzer als Spitzenkandidat an. Im Sommer 2024 übernahm er die Amtsgeschäfte der langjährigen Ministerpräsidentin Malu Dreyer (beide SPD) und führt nun die Ampelkoalition des Bundeslandes. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) äußert sich Schweitzer auch über die Bundesregierung, den neuen Wehrdienst und die Bedeutung von Weihnachten.

Frage: Herr Ministerpräsident, seit wann fehlen den Volksparteien SPD und Union gesellschaftliche Visionen, um Menschen Orientierung zu geben?

Antwort: Das kann ich für die SPD in Rheinland-Pfalz keineswegs bestätigen. Wir haben eine klare Vision für eine solidarische Gesellschaft, die allen Menschen durch gute Bildung eine Aufstiegschance bietet, die durch eine vorausschauende Wirtschaftspolitik für sichere und gute Arbeitsplätze sorgt und die Voraussetzungen dafür schafft, dass unsere wundervolle Natur im Land und das Klima geschützt werden. Wir leben in schwierigen Zeiten mit komplexen Herausforderungen, die viele Menschen stark verunsichern. Einfache Antworten gibt es leider nicht. Mir ist wichtig, die Menschen auch emotional zu erreichen und ihnen Orientierung zu bieten.

Frage: Laut Umfragen rechnen viele mit einem Regierungs-Aus im Bund. Gibt es Schwarz-Rot überhaupt noch, wenn am 22. März in Ihrem Bundesland gewählt wird?

Antwort: Ich bin der Überzeugung, dass wir manchmal auch die Kirche im Dorf lassen sollten. Es kann doch kein vernünftiger Mensch Interesse daran haben, dass die Bundesregierung nicht erfolgreich ist. Als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz arbeite ich an einem guten Miteinander zwischen Bund und Ländern. Wir haben echt große Aufgaben und wir haben mit dem Sondervermögen auch eine historische Chance, richtig was zu bewegen in unserem Land. Also Ärmel hochkrempeln, anpacken, zusammenarbeiten, dann können wir auch richtig was voranbringen im Land.

Frage: Umfragen weisen auf eine schwierige Regierungsbildung in Rheinland-Pfalz hin. SPD mit Linken und Grünen oder lieber CDU – wer ist Ihr Wunschpartner?

Antwort: Die von SPD, Grünen und FDP getragene Regierung arbeitet nun seit fast zehn Jahren erfolgreich für die Bürgerinnen und Bürger. Die Zusammenarbeit ist geprägt von Vertrauen, Sachorientierung und dem gemeinsamen Ziel, Rheinland-Pfalz in eine gute Zukunft zu führen. Wir haben richtig viel erreicht: Unser Wirtschaftswachstum liegt über dem Bundestrend; wir sind bundesweit auf Platz drei mit der höchsten Beschäftigungsrate; wir haben mit der Biotechnologie eine weltweit beachtete Zukunftsbranche; wir haben solide Finanzen, stellen Familien in den Mittelpunkt, garantieren gebührenfreie Bildung und wir gehören zur Spitze beim Klimaschutz. Ich glaube, das werden die Menschen am Ende auch bewerten.

Frage: Vor der Wahl jährt sich der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine zum vierten Mal – Deutschland streitet derweil weiter über den Militärdienst. Sie sind Vater: Würden Sie Ihre Kinder dabei unterstützen, zur Armee zu gehen?

Antwort: Ich rede darüber mit meinen Jungs, die sind 15 und 16 Jahre alt; also betrifft sie die Frage ganz unmittelbar. Das finde ich ganz grundsätzlich wichtig; wir müssen viel mehr mit den jungen Menschen reden und nicht nur über sie. Die Debatte um den Militärdienst ist berechtigt in Zeiten, in denen unsere Sicherheit auf dem Spiel steht, aber sie muss verantwortungsvoll geführt werden, damit junge Menschen nicht verunsichert werden.

Frage: Bundesweite Aufmerksamkeit erregte Rheinland-Pfalz mit dem laut Regierungsangaben modernsten Bestattungsrecht. Die Kirchen fühlten sich vom Land übergangen. Wie werden Sie künftig mit ihnen umgehen?

Antwort: Wir haben sehr viel mit den Kirchen darüber gesprochen. Als Landesregierung ist es uns wichtig, auch auf veränderte Bedürfnisse einer Gesellschaft einzugehen. Der Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben und Sterben ist groß. Ich finde, wir haben einen Weg gefunden, der respektiert, dass Menschen sehr unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wie sie ihre letzte Ruhe gestalten wollen. Dabei behalten wir auch die Bedeutung der Friedhofskultur als Orte der öffentlichen Trauerrituale im Blick. Die Bedenken der Kirchen sehe ich als Aufruf, den Dialog noch intensiver zu führen.

Frage: Bei welchen Themen wünschen Sie sich laute Stimmen der Kirchen?

Antwort: Ich schätze die Kirchen als unverzichtbare Partner und ich wünsche mir, dass sie weiterhin ihre Stimmen erheben. Besonders dort, wo es um den Schutz der Schwächsten, soziale Gerechtigkeit und Zusammenhalt geht. Wichtig sind ihre Stimmen auch gegen Extremismus und für Demokratie: In Zeiten von Polarisierung und Populismus sollten sie Hass entgegentreten und für Toleranz, Nächstenliebe sowie europäische Solidarität eintreten – das stärkt uns alle.

Frage: Enttäuschung gab es nach der Flut im Ahrtal 2021 mit mehr als 100 Toten, als die damalige Ministerpräsidentin Malu Dreyer sich nicht für staatliches Versagen entschuldigte. War das ein Fehler?

Antwort: Das Leid der Betroffenen nach der verheerenden Flut war unermesslich. Ich habe mit sehr vielen Betroffenen und mit Seelsorgern und Geistlichen im Ahrtal gesprochen. Die Frage, was kann eine Entschuldigung heilen und was nicht, hat mich sehr bewegt. Das Drängen auf eine Entschuldigung, das wurde mir zurückgespiegelt, wurde von vielen als rein politisch verstanden. Ich habe allerdings sehr deutlich gesagt, dass keine Ebene frei von Fehlern war. Die Flutkatastrophe hat ja auch zu einer umfangreichen parlamentarischen Aufarbeitung geführt. Wir haben den Katastrophenschutz mittlerweile komplett neu aufgestellt. Ich sehe meine politische Verantwortung darin, aus der Katastrophe die richtigen Lehren für die Zukunft zu ziehen.

Frage: Sie sind bekennender Katholik; wie gibt der Glaube Ihnen Kraft für die Spitzenpolitik?

Antwort: Mein Glaube gibt mir vor allem die Kraft, nie die Menschen aus dem Blick zu verlieren – er lehrt mich Nächstenliebe, Solidarität und die Verantwortung für die Schwächsten. So war meine Audienz am 8. Februar bei Papst Franziskus in Rom eine große Ehre und sehr bewegend. Das Gespräch mit ihm war eindrucksvoll, tief und ermutigend. Sein Zitat “Ein Mensch darf nur dann auf einen anderen herabschauen, wenn er ihm aufhelfen will” ist eine Botschaft, die mich nachhaltig prägt.

Frage: In Kürze ist Weihnachten – welche Traditionen pflegen Sie?

Antwort: Weihnachten bei meiner Familie in Bad Bergzabern ist ein schönes Familienfest. Wir besuchen gemeinsam den Gottesdienst. Und danach kommt ein buntes Essen auf den Tisch, jeder bringt etwas mit, es gibt Geschenke und immer viel Gesprächsstoff, und manchmal reden alle zur gleichen Zeit.