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Ministerin Prien wünscht sich mehr Sichtbarkeit von Juden in Politik

Karin Prien hat bis 2016 gebraucht, um ihre jüdischen Wurzeln öffentlich zu machen. Warum sie so lange gezögert hat und ob sie heute Angst vor Antisemiten hat, verrät sie in einem Interview.

Karin Prien (59), Bundesbildungsministerin und erste Bundesministerin, die öffentlich ihre jüdischen Wurzeln thematisiert, wünscht sich mehr Sichtbarkeit von Juden in Gesellschaft und Politik.

“Mein Ziel ist es, jüdisches Leben in seiner Vielfalt heute sichtbarer zu machen – auch in der Bedeutung für die Identität der Deutschen”, sagte die CDU-Politikerin im Interview des “Spiegel”. “Was wären wir ohne jüdische Künstler, Wissenschaftler und Autoren, die zu einem erheblichen Teil während des Nationalsozialismus emigrierten oder ermordet worden sind?” Die heutzutage sehr kleine Gruppe von bis zu 200.000 Juden präge das kulturelle Leben in Deutschland immer noch mit. “Politisch ist sie in Deutschland aber bisher kaum relevant gewesen.”

In diesem Zusammenhang bedauerte es Prien, dass der damalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, es in den 1990er Jahren mit dem Hinweis auf den Antisemitismus in Deutschland abgelehnt habe, für das Amt des Bundespräsidenten zu kandidieren. “Ich verstehe seine Ängste damals”, sagte Prien. “Aber es wäre trotzdem gut gewesen, wenn er sich getraut hätte. Jüdische Menschen werden in Deutschland primär immer noch in ihrer Opferrolle, nämlich als Opfer von Antisemitismus, gesehen.”

Prien selber hatte erst 2016 ihre jüdischen Wurzeln öffentlich gemacht. Sie wurde in Amsterdam geboren, weil ihr Großvater dorthin vor den Nazis geflohen war. Ihre gesamte Verwandtschaft sei umgebracht worden oder ins nicht-europäische Ausland geflohen, sagte sie. Zwischenzeitlich habe sie sich wie “ein Baum ohne Äste” gefühlt. Ursache für ihr Zögern sei unter anderem die Mahnung ihrer Mutter gewesen: “Meine Mutter hatte 1969 tief verinnerlicht, dass wir nach unserem Umzug nach Deutschland wieder im Land der Täter waren”, sagte die Ministerin. “Du weißt nie, wenn du jemandem gegenübertrittst, ob er nicht eigentlich ein Nazi ist.” Sie selber habe dann in der Familie ihres früheren Freundes “gelernt, mich reinzudenken in die Biografie eines Deutschen, der kein Widerständler war, aber sicherlich auch kein Regimefreund”.

Auf die Frage, ob sie sich nicht unsicher fühle in Deutschland, sagte sie: “Ich gestatte mir keine Ängstlichkeit. Wer Angst hat und die zeigt, hilft Extremisten und Antisemiten, ihre Ziele zu erreichen. Einschüchterung ist die erste Stufe ihrer Strategie.”

Mit Blick auf antisemitische Vorfälle in Schulen sagte die Bundesbildungsministerin, es wäre naiv zu glauben, dass gesellschaftliche Stimmungen und Konflikte vor dem Schultor haltmachten. “Aber genau hier haben wir die Chance, frühzeitig gegenzusteuern. Am besten schon in den Kindergärten. Kinder müssen Empathie lernen. Das ist vielleicht noch viel wichtiger. Wer Empathie hat, grenzt andere Menschen nicht wegen ihrer Herkunft aus.”