Diese Zeiten haben wir glücklicherweise hinter uns: Als die Angst der ständige Begleiter vieler Menschen war – in der Schule, im Amt, bei der Polizei, ja selbst in der Kirche. Als Autoritäten ihre Stellung nutzten, um sich selbst groß und andere klein zu machen. Als Obrigkeitsdenken und Untertanengeist das Leben in Deutschland bestimmten.
Beides hat sich dankenswerterweise rar gemacht in der modernen Bundesrepublik. An seine Stelle sind Freiheit, Demokratie und bürgerliches Selbstbewusstsein getreten. Und zumeist auch gegenseitiger Respekt, der nicht zuerst danach fragt, wer oben steht und wer unten.
In jüngster Zeit aber hat sich etwas entwickelt, das Sorge bereitet: Immer häufiger müssen sich „Amtspersonen“ wie Behördenmitarbeiter, Lehrer, Polizisten, aber auch Feuerwehrleute während der Wahrnehmung ihres Dienstes beschimpfen, anpöbeln oder gar tätlich angreifen lassen. Auch der Verband Evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer klagt, dass Drohungen und Beleidigungen gegenüber ihren Mitgliedern zugenommen hätten. Und jeder, der sich im Straßenverkehr bewegt, wird es bemerkt haben: In kniffligen Situationen reagieren etliche Zeitgenossen (gefühlt: mehr denn je) mit wüstem Geschimpfe, Hupen und/oder erhobenem Mittelfinger.
Es ist – leider! – mehr als nur eine private Wahrnehmung, sondern offenbar gesellschaftliche Realität: Aggressionen und Gewaltbereitschaft haben zugenommen. Verräterisch ist allein die Verrohung der Sprache – etwa in sozialen Netzwerken oder bei Pegida-Demonstrationen: „Merkel muss weg“ ist unter all dem, was da auf den Plakaten zu lesen ist, noch das harmloseste.
Mit Worten geht es los. Dann ist es nicht weit bis zu Taten…
Wie kann es sein, dass eine Gesellschaft, die sich als zivilisiert betrachtet, die über einen hohen Bildungsstandard verfügt, deren Menschen in der großen Mehrheit in Sicherheit und Wohlstand leben, so herunterkommt?
Ob es nur daran liegt, dass die Menschen angesichts der vielen aktuellen Probleme gestresst und verängstigt sind, weil sie nicht wissen, wie es weitergeht. Oder gibt es vielleicht auch Defizite in der Erziehung? Haben wir einfach die guten Manieren verlernt?
„Das gehört sich nicht“ – ein ungeliebter Satz aus der Kindheit. Dennoch sollten wir uns wohl manchmal an ihn zurückerinnern. Dabei geht es nicht um sinnlose Verhaltensregeln, geschweige denn um überkommene Moralvorschriften. Es geht darum, wie wir künftig miteinander umgehen, wie wir miteinander leben wollen. Denn daran hängt der soziale Friede.
Wir müssen den Respekt wieder lernen. Und zwar ohne zurückzukehren zu altem Autoritätsdenken. Wir müssen lernen, dass jeder Mensch eine Würde hat, unabhängig von seinem sozialen Stand, von seiner Religion, seiner Hautfarbe.